Es ist stockfinster im Schiff, nur Mätthus und Retos Stirnlampen schimmern schwach durch den dicken Rauch. Meine Kehle ist wegen der schlechten Luft so trocken, dass ich kaum sprechen kann als ich das Mikrofon des Funkgerätes in die Hand nehme und versuche, den Hoffnungsschimmer am Horizont zu erreichen: „Yacht Moondance, this is Sailing Yacht Mauna Loa, HBY5155. This is an emergency! Over.“ Diesmal ist es keine Übung. Diesmal sind wir in echten Schwierigkeiten.
Wir schreiben Anfang Oktober. Vor wenigen Tagen haben wir Cagliari im Süden Sardiniens verlassen. Mit dabei sind unsere Freunde Isabelle und Silvan, die uns während zwei Wochen begleiten. Beide waren schon öfter auf Segeltörns dabei und kennen die Abläufe an Bord einer Segeljacht gut. Ausserdem freuen sie sich auf zwei Wochen Sonne, Baden und gemütliches Segeln. Die Stimmung ist bestens. Ich habe in Cagliari das Paper meiner Dissertation fertig geschrieben und dem ersten Journal eingereicht, ein Umstand den ich im Hafen mit einer Gruppe zufälligerweise getroffenen Österreichern bis zum Morgengrauen feierte. Ausserdem haben wir einen neuen, für die Grösse unserer Jacht passenden Spinnakerbaum an Bord und das Bimini hat neue Fenster bekommen. Wir sind also bereit für die nächsten zwei Wochen Segelspass!
Mätthu steuert Mauna Loa gekonnt aus dem Hafen, ich winke den Österreichern am Steg zu, während ich das Dingi hochziehe. Silvan und Isa holen die Fender ein. Mittlerweile sind wir ein eingespieltes Team, oft braucht es keine Worte mehr um zu wissen, was der andere gerade möchte. Das Windfenster ist gut, und wir freuen uns auf die Überfahrt nach Spanien. Spätestens in zweieinhalb Tagen sollten wir Menorca erreichen.
Doch schon 16 Stunden später beginnt sich das gemütliche Segeln zu Schwerwetter-Segeln zu ändern. Im Gegensatz zu den Wetterprognosen erwarten uns nicht angenehme 4 Bft Wind – im Laufe des Abends nimmt die Windstärke auf 6 Bft zu, in den Böen ist’s gerne auch mal deutlich mehr. Dadurch nimmt auch der Seegang massiv zu und Mauna Loa beginnt durch die Wellen zu stechen. Mit jeder höheren Welle spritzen duzende Liter Salzwasser über das Deck und ins Cockpit. Kein Problem für eine Segeljacht, dafür ist sie schliesslich gebaut. Trotzdem sind wir froh um unser geniales GoreTex Ölzeug und die stabilen Seestiefel, die uns schön trocken halten! Hier geht’s zum Blog über den Ölzeugeinkauf vom letzten Jahr.
Um Mitternacht ist meine Wache zu Ende und Mätthu übernimmt die Jacht, die sich nur unter Genua durch die stockfinstere Nacht pflügt. Das Gross haben wir nach Sonnenuntergang komplett gestrichen – nachts empfiehlt sich eine eher defensivere Segelführung, erschwert doch die Dunkelheit und in unserem Fall zusätzlich das schlechte Wetter erheblich ein schnelles Reffen oder Segelstreichen. Bevor ich ins Bett steigen kann, kümmere ich mich noch eine Weile um ein deutlich seekrankes Crewmitglied. Eine Situation, die wir bisher nie hatten – wir sind glücklicherweise alle einigermassen seefest. Doch die Schaukelei diese Nacht fordert uns allen einiges ab, kein Wunder, dass es jemanden erwischt hat.
Gegen ein Uhr steige ich in mein Bett in der Bugkabine, Ölzeug und Rettungsweste griffbereit neben dem Bett für die nächste Wache. Hoffnung auf Schlaf habe ich nicht wirklich, zu wild sind die Bewegungen des Schiffes. Aber um zu dösen und Energie zu tanken reicht es allemal.
Viel Zeit ist noch nicht vergangen, meine Armbanduhr zeigt zwei Uhr früh an als ich wieder aus dem Bett steige um kurz auf die Toilette zu gehen. Das Geräusch des Wassers hat sich deutlich verändert, es hört sich an als würde Wasser schwappen?! Ich mache Licht. Der Anblick der sich mir bietet wünscht sich kein Segler: Unter meinem Bett kommt Wasser hervor! Bei jeder Welle schwappt es durch die Bugkabine und steht bereits über den Bodenbrettern! Ich verliere keine Zeit und eile zum Niedergang. Reto steht am Ruder. „Hey, Chris, alles klar?“, fragt er, als er mich auftauchen sieht. „Reto, wir machen Wasser. Es steht im Bug schon über den Bodenbrettern.“ – „Weiss Mätthu schon davon?“, fragt er mich, nun etwas weniger entspannt. Dieser liegt in voller Segelbekleidung und mit Rettungsweste auf der Bank im Salon und döst. In der gleichen Sekunde schrillt ein ohrenbetäubender Alarm durchs Schiff, es ist der Rauchmelder in der Küche. Mätthu, der sich mittlerweile aufgesetzt hat, erkennt die Ursache rasch: „Jungs, wir haben ein Problem!“ Ich starre ins Vorschiff, wo ich eben noch ruhig in meinem Bett gelegen habe. Dicker Rauch dringt aus der Bugkabine und füllt im Nu das ganze Schiff. Mätthu ruhig und bestimmt: „D Elektronik raucht öis ab! Füürlöscher parat mache!“
Ich trommle Isa und Silvan aus den Kojen und befehle ihnen, sich sofort mit warmen Kleidern und Rettungsweste ausgerüstet im Cockpit einzufinden, dann löse ich Reto am Ruder ab. Die Jungs begeben sich zur Brandbekämpfung und Lecksuche ins Vorschiff, ich übernehme die Schiffsführung und den Funkverkehr. Wir sind ca 80 sm von jeglichem Land, und damit eine ganze Strecke von jeder Küstenwachstation entfernt. Auf dem AIS (Automatic Identification System) erkennen wir nicht weit von uns eine andere Segeljacht, die Moondance. Darauf halte ich zu, während ich sie per Funk zu erreichen versuche. Bekämen wir die Situation nicht in den Griff, wäre zumindest jemand in der Nähe um uns aufzunehmen.
Silvan und Isa helfen mir die Genua zu streichen, den Motor zu starten und gleichzeitig Reto und Mätthu im Vorschiff im Auge zu behalten. Zur selben Zeit nähert sich uns die Moondance um allenfalls Unterstützung zu bieten. Reto lokalisiert im Bereich des Bugklos Wasser, das die Wände entlang in rauen Mengen ins Schiff fliesst. Er schickt Mätthu auf den Bug, während er selber die brennende Elektronik von den Batterien zu trennen versucht. Mätthu findet den Grund für den Wassereinbruch rasch: Der Deckel unseres riesigen Ankerkastens steht weit offen und mit jeder Welle laufen duzende Liter Wasser in unsere Segeljacht. Eigentlich dachten wir, dass dies ein komplett abgetrennter Bereich des Schiffes ist, doch wir werden gerade auf die harte Tour eines Besseren belehrt. Wie sich der Ankerkasten öffnen konnte ist uns ein Rätsel. Vor Einbruch der Dunkelheit war er ganz sicher geschlossen. Ob er durch eine der harten Wellen aufgeschlagen wurde oder ob sich eine der Schoten im Griff verhakt und ihn aufgezogen hat – alles reine Spekulation, wir wissen es nicht. Fakt ist: Der Wasserpegel im Schiff steigt nach dem Schliessen des Deckels nicht weiter. Aber der primär rauchende Elektrobrand im Vorschiff hat sich mittlerweile in ein kleines, offenes Feuer verwandelt. Die Elektronik von den Batterien wegzuschneiden ist in dieser Arbeitsumgebung alles andere als ein Vergnügen. Aller paar Minuten kommen die beiden Jungs ins Cockpit um frische Luft zu schnappen, bevor sie sich wieder in die Kammer des Schreckens begeben.
Ich bin derweil im Cockpit das Schiff am Steuern, den Funkverkehr am Abwickeln und am Überlegen, was wir alles zusammenpacken müssen, sollten wir das Schiff aufgeben und uns in die Rettungsinsel begeben müssen. Handfunkgerät, Wasser, Notproviant, Satellitentelefon, Leuchtmunition, noch mehr warme Kleidung… Glücklicherweise haben sowohl Reto, Mätthu wie auch ich den Ernstfall schon einmal im Rahmen eines Sicherheitstrainings geübt (hier geht’s zum Blogeintrag über das Sicherheitstraining). Diese Fertigkeiten kommen uns nun sehr zu Gute. Und auch Isa und Silvan bewahren Ruhe und unterstützen uns nach Kräften. „Yacht Moondance, this is SY Mauna Loa with an update: The flooding is currently under control, but we have open fire in the bow now.” Strom für Licht oder die Navigationsinstrumente haben wir an Bord keinen mehr, ich orientiere mich an einigen Sternen am Horizont und den Navigationslichtern der Moondance um den Kurs zu halten. Die Stirnlampen der Jungs schimmern schwach durch den dichten Rauch.
Derweil bleibt Reto im Vorschiff keine andere Wahl mehr: Er schiesst den Pulverlöscher ab. Als er zu husten beginnt packt ihn Mätthu von hinten an der Rettungsweste und zieht ihn rassig zurück in den Salon.
Der Wassereinbruch scheint vorerst unter Kontrolle, unter den laufenden Bilgenpumpen senkt sich der Pegel Milimeter um Milimeter ab. Der Gestank im Schiff ist kaum auszuhalten, aber der Brand ist mittlerweile gelöscht. Zu fünft besprechen wir im Cockpit die Lage. Nach erneuter Kommunikation mit der Moondance steht die Entscheidung fest: Wir setzen unseren Weg nach Menorca fort. Denn die Moondance hat das gleiche Ziel und bietet uns an, uns für die nächsten 1.5 Tage bis nach Menorca zu eskortieren.
Reto schläft augenblicklich auf der Bank am Salontisch ein. „Ich brauche etwas Ruhe um danach wieder klar denken zu können.“ Auch Mätthu legt sich erschöpft hin um Energie zu tanken. Ich übernehme mit Silvan „die erste Wache danach“. Alle paar Minuten nimmt jemand von uns einen Augenschein in der Bugkabine und Bilge: Feuer- und Wasserwache. Auf keinen Fall wollen wir eine erneute Verschlechterung der Situation verpassen.
Irgendwann löst mich einer der Jungs am Ruder ab. Ich lege mich in kompletter Ausrüstung auf die nächste Matratze, die irgendwo im Schiff liegt. Diese ist genauso nass wie das restliche Schiff und es ist erbärmlich kalt. Aber immerhin, unser Schiff schwimmt noch. Da kann man sich über etwas Diskomfort nicht beschweren, oder?
Am Morgen erscheinen alle deutlich gerädert beim Zmorge, die Ereignisse der Nacht haben ihre Spuren hinterlassen. Das Schiff sieht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen, und es bleiben noch 120 sm bis Menorca. Glücklicherweise funktionieren wir als Team weiterhin prächtig und muntern uns gegenseitig auf. Ausserdem bessert sich das Wetter rassig und wir geniessen warme, sonnige Bedingungen. So nähern wir uns Meile für Meile unserem Ziel. Dank etwas Erfindergeist kommen wir sogar kulinarisch auf unsere Kosten: Kaffee wird mit dem vom Motor gewärmten Wasser produziert und bei der Heckdusche abgeschöpft und zum Znacht gibt’s Pasta, gekocht auf dem Benzinkocher, den wir normalerweise auf Bergtouren nutzen. Wie heisst es: Not macht erfinderisch!
Zweieinhalb Tage nach Verlassen Sardiniens erreichen wir Mao auf Menorca, nur wenige Minuten nach Moondance, die uns eine enorme mentale Stütze war. Zwei Tage lang trocknen wir unser Eigentum auf dem Steg in Mao. Danach setzen wir nach Mallorca über. Die wichtigsten Systeme konnten wir provisorisch reparieren, so dass es für die Überfahrt reicht. Die Versicherung will uns in Palma de Mallorca haben, um den Experten für eine Schadensaufnahme aufs Boot zu schicken. Ausserdem sind die Reparaturmöglichkeiten in Palma deutlich besser. Und so sind wir vorerst unfreiwilligerweise da gestrandet, wo andere freiwillig Ferien machen. Tja, ändern können wir es nicht.
Nach dem Besuch des Experten gönnen wir uns noch einige ruhige Tage im Süden Mallorcas. Schliesslich haben sich Isa und Silvan Bade- und Erholungsferien erhofft. Und auch uns tun die entspannten Tage nach all dem Trubel ganz gut, bevor wir für mehrere Wochen im Hafen von Palma stecken werden. Wir geniessen das Baden im warmen Meer, ein Fondue in einer Sandsteinhöhle und fahren mit dem Dingi an den Ballermann (eine Riesengaudi!). Wenige Tage später steuern wir Palma an – unser Zuhause für die nächsten Wochen.
Weitere Fotos zu diesen zwei erlebnisreichen Wochen gibts in unserer Gallerie Sardinien nach Mallorca.