Der gestrige Tag beginnt mit einem Klopfen. Ich steige aus dem Bett und werfe einen Blick aus dem Fenster. Auf dem Steg neben Mauna Loa stehen zwei Frauen mit einer Mappe unter dem Arm und klopfen gegen den Schiffsrumpf. Himmel, das müssen die gestern angekündigten Zollbeamten sein! Schnell ziehe ich mir Trainerhose und T-Shirt über und verstecke die Frisur (welche Frisur?) unter einem Haarreif. Dann erscheine ich an Deck. Mit einem etwas peinlich berührten Gesichtsausdruck begrüsse ich die beiden sportlich gekleideten Frauen. Die nehmen die Sache sehr entspannt: „We know you had a long journey, shall we come back in half an hour?“ – “Nein natürlich nicht, willkommen an Bord, ich hole nur schnell die Schiffspapiere!“ Kurz darauf kommen auch meine beiden Schiffsmänner etwas verschlafen ins Cockpit. Reto setzt der skurrilen Szene noch das Tüpfelchen auf und fragt die Beamten: „What time is it?“
Es ist unser erster Morgen in Irland und wir haben 12 Stunden am Stück geschlafen. Gestern Abend gegen 17 Uhr sind wir in den Hafen von Dingle im Südwesten Irlands eingelaufen, ca. 1200 sm nach Verlassen der Azoren. 198 Stunden haben wir für die Überfahrt gebraucht, das sind 8 Tage und 6 Stunden. Davon liefen wir insgesamt 16 Stunden unter Motor, die restlichen 182 Stunden konnten wir segeln. Ein tolles Ergebnis! Generell waren die Bedingungen eher schwachwindig, was das Leben an Bord zumindest während der ersten 6 Tage angenehm machte. Allerdings mussten wir dadurch auch jedes Register Mauna Loa’s ziehen um trotz gemütlichen Windbedingungen gut voranzukommen.
Teilweise haben wir je nach Windstärke im 3-Stunden-Takt die Segelgarderobe geändert und einige neue Dinge ausprobiert. So haben wir beispielsweise den Spinnaker wie einen Code Zero asymmetrisch vorgespannt. Zwischenzeitlich setzten wir den Spinnaker in Kombination mit dem Grosssegel, also 300 m2 Segelfäche auf einmal, was wir vorher noch nie gemacht hatten. Und schliesslich haben wir zwei Tage lang die Genua ausgebaumt um bei 3 Meter hohen Wellen überhaupt noch Segel führen zu können. Kurz: Wir waren sehr kreativ! Glücklicherweise ist Mauna Loa mit einer Unmenge an Material ausgestattet. So können wir uns dank verschiedenen Segeln, zusätzlichen Blockrollen, Dyneema-Schäkeln, Spinnaker- und Genuabaum, unzähligen Fallen und Schoten aller Stärken und Längen, Barberholern etc. an verschiedene Situationen anpassen. So macht das Segeln Spass! Mauna Loa schienen unsere Bemühungen zu gefallen und sie gab sich alle Mühe, schnell zu segeln.
Wir konnten gut Strecke machen und dank wenig Wellen das Leben an Bord richtig geniessen. Reto hat mehrmals gute Desserts zubereitet, Mätthu sein Können beim Kochen demonstriert und Chris nachts ihr Wissen über Sternbilder verbessert. Es wurde viel gelesen, Blackstory gespielt und gemeinsam diskutiert. Ausserdem lernten wir die Vorzüge unseres Kurzwellenfunkgerätes kennen. Nebst aktuellen Wetterprognosen lieferte es uns unterwegs auch beste Unterhaltung. So hörten wir uns beispielsweise die Liveübertragung des Halbfinals der Afrikameisterschaften an: Algerien vs. Nigeria. Keiner von uns drei interessiert sich übermässig für Fussball. Aber jetzt, hier draussen im Nirgendwo, nahm sich jeder ein Bier und wir hörten uns die ganze zweite Halbzeit in voller Länge an. „Don’t go anywhere, there is more drama to come!“, schrie der Moderator irgendwann atemlos ins Mikrofon. Wir haben auf den riesigen Atlantik um uns herum geblickt und schallend gelacht. Nein, wir gehen wirklich nirgendwohin.
Unterhaltung bot uns auch die Natur: Tagelang wurden wir von Seevögeln begleitet und auch Delfine kamen regelmässig vorbei. Teilweise reisten sie fast eine Stunde in unserer Bugwelle mit und liessen sich filmen. Einmal sichteten wir eine Gruppe Bartenwale in der Ferne. Nachts wiesen uns der Vollmond, der aktuell sehr helle Jupiter und viele Sterne den Weg. Jeden Tag erschien die Sonne etwas früher über dem Horizont und verschwand abends etwas später. Gleichzeitig wechselten wir von T-Shirts und Shorts auf Jeans und Pulli, und schliesslich auf Jacken.
So legten wir Meile für Meile zurück. Mauna Loa lief wie auf Schienen und täglich schrumpfte die Position bis zu unserem Wegpunkt vor der Küste Irlands um die 140 sm. Wir waren äusserst zufrieden! Schiffe waren selten zu sehen, teilweise gab es 48 Stunden lang nichts als Wasser um uns herum. Zeigte sich dann doch mal ein Frachter oder ein anderer Segler am Horizont waren wir jeweils völlig aus dem Häuschen.
Nach sechs Tagen traumhaftem Segeln nahmen die Wellen deutlich zu. Schliesslich zeigten sich draussen 3 m hohe Brecher. Mauna Loa wurde dadurch fast zwei Tage lang von 30° Steuerbord auf 30° Backbord gerollt – und wieder zurück. Und hin. Und zurück. Und wieder hin, und zurück… Mätthu nach den ersten paar unbequemen Stunden: „Zum Glück si mir aui sehr seefescht. Das isch doch sone richtige Chotz-Kurs!“ Reto und ich pflichteten ihm bei. Zwar konnten wir wegen des Seegangs nicht mehr wirklich schlafen, aber von Seekrankheit keine Spur. Wir konnten sogar immer noch lesen. Glück gehabt! Nur die Geräuschkulisse im Schiff war teilweise etwas anstrengend. Zwar sind alle Gegenstände sicher verstaut, das hinderte aber beispielsweise die Gewürzdosen, den Besteckkasten und die Töpfe nicht daran, bei jeder Bewegung lautstark hin und her zu rutschen. Wie sich das Konzert unserer Küchen-Band anhörte, hat Mätthu für euch festgehalten.
Wir und auch Mauna Loa liessen uns von den schaukelnden Bedingungen also nicht einschüchtern. Nur das Segeln bei dem starken Seegang gab uns etwas Kopfzerbrechen. Nicht wegen viel Wind, sondern wegen eher schwachem Wind. Damit die Segel bei so extremen Bewegungen des Schiffes nicht schlagen, braucht es normalerweise viel Wind, den wir allerdings nicht hatten. Nach einigem Herumexperimentieren haben wir schliesslich die Genua ausgebaumt. Damit konnten wir der fiesen Welle ein Schnippchen schlagen und weitersegeln. Hurra, es klappt! Nur dem Autopiloten war nicht mehr zu trauen: Teilweise geriet Mauna Loa wegen eines Brechers so sehr vom Kurs ab, dass der Autopilot nur noch verzweifelt fiepte und seinen Betrieb einstellte. Wir standen also stundenlang hinter dem Ruder, um jederzeit von Hand übernehmen zu können. Anstrengend! Dazu kam eine Kaltfront, die ihre gesamte Feuchtigkeit über uns ausleerte. Selten war ich so froh um meine Stiefel, Handschuhe und regendichte Kleidung. Und als Mätthu mir um 7 Uhr morgens nach zwei Stunden an der Kälte eine Thermoskanne mit heissem Tee ins Cockpit brachte, hätte ich ihn am liebsten umarmt.
Unbequem waren die Bedingungen gegen Ende der Reise zwar – ein Problem stellten sie aber nicht dar. Für Mauna Loa noch weniger als für uns: Eine Segeljacht hält so ziemlich alles aus. Ein wirkliches Problem hatten wir nur einmal: In der letzten Nacht. Es regnete in Strömen und die Sicht war eingeschränkt. Reto konnte am Horizont die Lichter eines riesigen Schiffes ausmachen. Allerdings war dieses auf dem AIS (Automatic Identification System) nicht auszumachen, war also quasi inkognito. Reto verfolgte seinen Kurs auf dem Radar und anhand seiner Scheinwerfer. Doch er konnte machen was er wollte: Der Kahn änderte ständig seine Fahrtrichtung und wir blieben auf Kollisionskurs. Auch auf unsere zunehmend verzweifelten Versuche hin, ihn per Funk zu erreichen, blieb das Monstrum stumm. Selbst als ich per Funk zu verstehen gab, dass wir potentiell kollidieren wenn er uns nicht seine Absichten mitteilen würde, kam keine Antwort. Schliesslich passierten wir den offenbar Netze schleppenden Kahn in der Dunkelheit mit höchstens 500 m Abstand. Mir schlug das Herz bis zum Hals als wir den riesigen Bug schliesslich hinter uns liessen und trotz der miesen Sicht sogar Details des Schiffes erkennen konnten. Was für ein absoluter Volldepp. Reto und ich schimpften wie Kormorane. 24 Stunden lang kein einziges Schiff am Horizont und dann das… Ob es sich um einen illegal handelnden Fisch-Trawler, also einen Piratenfischer gehandelt hat?
Schliesslich brach unser letzter Morgen auf See an, Meile um Meile näherten wir uns dem langersehnten Ziel: Irland. Immer mehr Vögel tauchten auf und drehten unsere Runden um uns. Etwa um 11 Uhr morgens dann der lang ersehnte Ruf vom wachgehenden Mätthu: „Land in Sicht!“ Wir spurteten alle an Deck. Tatsächlich, im Dunst erschien die erste Landspitze Südwestirlands. Welch unbeschreibliches Gefühl, nach dieser langen Zeit auf hoher See wieder einmal Land zu sehen!
Die letzten 30 Meilen mussten wir uns hart erkämpfen. Wechselnde Strömung und drehender Wind sorgten dafür, dass wir die ausgebaumte Genua zweimal halsen mussten – jedes Mal mit Seitenwechsel des Baumes, eine anstrengende Angelegenheit. Mätthu und Reto haben auf dem heftig schwankenden Vorschiff einen guten Gleichgewichtssinn bewiesen und perfekte Arbeit geleistet, während ich im Cockpit Ruder und Schoten bediente. Merci für euren Einsatz, Schiffsmänner!
Gegen Abend erreichten wir schliesslich die Einfahrt in den Kanal von Dingle. Bei der Ankunft wurden wir vom hier lebenden und von sich aus sehr an Menschen interessierten Delfin Fungie begrüsst, der Mauna Loa beinahe rammte. Was für ein Abschluss dieser langen Reise!
Bald war Mauna Loa sicher am Steg vertäut und wir drei legten Rettungswesten und Ölzeug ab. Zufrieden setzten wir uns im Cockpit an den Tisch und prosteten uns zu. Geschafft, was für ein unvergessliches Erlebnis! Ausser einem zerbrochenen Ei im Küchenschrank blieben sowohl Schiff wie auch Crew heil und wir sind um viele Erfahrungen reicher geworden. Vielen Dank liebes Schiff, dass du uns so schnell und sicher nach Irland gebracht hast! Danach bereiteten wir zur Feier des Tages ein leckeres Raclette zu und genossen es, dass der Tisch für einmal nicht hin und her tanzte. Irland, schön dich nach so vielen Tagen endlich zu erleben!
Wer jetzt Lust hat noch mehr von Mauna Loa zu erfahren, der darf gerne weiterlesen. Wir haben für euch unseren dritten Tag zwischen den Azoren und Irland protokolliert. Viel Spass beim virtuellen Mitsegeln auf hoher See!
Der dritte Tag auf See unterwegs nach Irland: Das Leben an Bord von Mauna Loa
Donnerstag, 11. Juli 2019, 04:55 Uhr: Ich fühle mich erstaunlich fit und finde seit gut einer Stunde trotz wenig Schaukeln im Schiff keinen Schlaf mehr. Als Reto mich für meine Wache um 5 Uhr wecken kommen will, streife ich deshalb bereits meine Rettungsweste über. Es ist Tag Drei auf See. Vor kurzem haben wir den 41. nördlichen Breitengrad gequert. Bis nach Südirland werden wir noch 10 weitere Breitengrade queren, es liegt also noch ein gutes Stück Strecke vor uns. Unsere aktuelle Position: 41° 04.1‘ N / 024° 00.1’W. Gemeinsam besprechen wir kurz die Situation. Wind seit mehreren Stunden unverändert, schwach, 7-8 kt aus WNW. Unter Genua und Gross machen wir zurzeit zwischen 4.5 bis 5.5 kt Fahrt. Die Wellen haben etwas zugenommen, sind aber immer noch klein, schätzungsweise um die 1.3 Meter. Trifft uns eine etwas grössere genau von der Seite werden die Segel manchmal kurz entlastet, so dass es leicht klappert. Bleibt der Wind weiterhin schwach, werde ich beim nächsten Wachwechsel um 8 Uhr mit Mätthu wie schon gestern den Gennaker setzen um mehr Tempo aufzunehmen. Andere Schiffe sind nicht in Sicht, unser letzter Kontakt war gestern Nachmittag etwa um 16 Uhr, ein Frachtschiff auf dem Weg nach Montreal in Kanada. Beide blicken wir aufs Meer. Am Horizont beginnen sich gerade die ersten hellen Streifen zu zeigen. Es verspricht ein sonniger Tag zu werden. „Das Liecht gits nume ufem Meer.“, meint Reto und ich stimme ihm zu. Dieses magische Licht, wenn sich die erste Dämmerung im Wasser spiegelt ist mit nichts zu vergleichen. Danach kontrollieren wir gemeinsam noch einmal die Einstellung am Laderegler einer unserer 12 V Batterien. Gestern hatten wir plötzlich einen Teilausfall unserer damit betriebenen Navigationsinstrumente. Offenbar war der Ladestrom am Regler etwas zu tief eingestellt, was wir mittlerweile korrigiert haben. Jetzt ist alles ok. Allerdings ist die Spannung auf den Hauptbatterien etwas tief. Bis unsere Solarpaneele Strom liefern dauert es noch eine Weile und ich möchte die Batterien nicht weiter entladen. Also starte ich für eine Stunde den Generator. Reto verwischt die Spuren seines nächtlichen Snacks in der Küche und verschwindet danach im Bett. Ich mache mir eine Tasse Kaffee, fiere das Grosssegel etwas auf und begrüsse zwei Sepiasturmtaucher, die neugierig ums Boot kreisen. Dann setze ich mich an den Laptop um ein wenig zu schreiben, während der Autopilot Mauna Loa genau aufs Ziel zu steuert. Alle paar Minuten werfe ich einen Blick über den Kartenplotter, die Segelstellung und das Meer.
06:50 Uhr: Aha, der Wind nimmt leicht zu, es zeigen sich ganz vereinzelt Schaumkronen auf den Wellenkämmen. Mittlerweile hat sich auch der Himmel mit Wolken überzogen. Wie schnell sich die Bedingungen manchmal ändern können… Ich trimme die Segel etwas flacher und versuche, das Optimum aus Mauna Loa herauszuholen. Sie scheint gefallen daran zu finden, denn kurzfristig laufen wir 6 kt. Doch dann beginnt der Wind schon wieder abzunehmen. Schade.
07:20 Uhr: Ich durchsuche den Posteingang nach dem neusten Wetteremail um zu erfahren, ob ich auf Kurs bleiben soll, oder besser etwas mehr Höhe laufe. Wetterprognosen können wir dank eines Pactor-Modems via Kurzwellenfunk empfangen. Gestern war der Empfang allerdings sehr eingeschränkt. Vielleicht zu viel Sonnenaktivität? Diese hat einen erheblichen Einfluss auf die Stabilität von Kurzwellen-Verbindungen. Mätthu hat sich den ganzen Abend lang bemüht Infos herein zu bekommen, aber wie ich jetzt bemerke, hat er es leider nicht geschafft. Nun denn, vielleicht heute Abend. Mittlerweile habe ich Hunger. Allerdings steht mir der Magen eher nach etwas Warmem, Salzigem als nach Brot oder Müsli. Ich bereite mir eine Fertigsuppe zu.
07:55 Uhr: Zeit, Mätthu für seine Wache an Deck zu holen. Spannender Moment auf dem Kartenplotter: Gerade wechselt die Distanz zu unserem gesetzten Wegpunkt in Irland von 900 nm auf 899.9 nm. Als Mätthu kurz nach acht Uhr ein wenig verschlafen an Deck erscheint rollen wir die Genua weg und setzen gemeinsam den Gennaker.
08:30 Uhr: Der Gennaker steht, damit machen wir nun immerhin wieder um die 4.5 kt Fahrt. Der Wind ist gerade eher lahm und fällt zunehmend achterlicher ein. Mal schauen wie sich das entwickelt. Zeit mich noch für einige Stunden aufs Ohr zu hauen.
11:00 Uhr: Zweite Tagwache heute. Der Wind kommt immer mehr von hinten, unser Grosssegel deckt daher zu fest den Gennaker ab. Die Wellen sind noch einmal grösser geworden und messen nun etwa 1.5 Meter. Sie sind lang, deshalb fühlt es sich nicht unangenehm an. Aber bei so wenig Wind bringen sie das Grosssegel zum Schlagen. Zeit es zu bergen. Vorher ist Mätthu aber noch mit Werkzeug zu Gange: Er hat am Baumniederholer eine gelockerte Schraube entdeckt, die er nun nachzieht und mit Loctite sichert. Bald ist das Grosssegel sicher verstaut, wir setzen die Fahrt nur unter Gennaker fort. Damit sind wir zwar minim langsamer, aber immerhin knallt das Grosssegel nicht mehr.
11:30 Uhr: Der Magen knurrt erneut, Frühstückszeit! Diesmal gibt es Müesli. Reto isst mit. Mätthu hat sich während seiner Wache ein Buurezmorge mit Wurst und Käse einverleibt und ist noch ziemlich satt.
11:55 Uhr: Entspannte Stimmung. Reto und Mätthu lesen in einem Buch, ich setze mich mit dem Spiel Rush Hour ins Cockpit. Es geht darum, ein von anderen Autos und Lastern zugeparktes Auto frei zu manövrieren, indem man so lange die restliche Fahrzeuge hin und herschiebt, bis es freikommt. Ein ideales Spiel für Spitalaufenthalte. Oder für lange Segelüberfahrten! Die ersten beiden Aufgaben der Stufe Grand Master habe ich rasch gelöst. Die dritte Aufgabe allerdings hat es in sich. 45 Minuten später gebe ich auf – ich werde es ein andermal erneut probieren.
12:45 Uhr: Reto übergibt mir frühzeitig die Wache und verschwindet im Badezimmer um seinem Seebären-Bart Einhalt zu gebieten. Mätthu wärmt sich die restlichen Linguini mit Gemüsesauce in der Mikrowelle auf und versucht erneut, aktuelle Wetterinfos über den Funk zu erhalten. Ich schaue auf den Ozean. Keine Menschenseele ist zu sehen. Kein Schiff, keine Delfine, kein Wal, rein gar nichts. Nein, stimmt nicht ganz: Gerade kommen zwei Sepiasturmtaucher angeflogen und drehen zwei Runden ums Boot. Für sie sind wir wohl eine genauso willkommene Abwechslung, wie sie für uns. Der eine verschätzt sich beim knappen Flug über die Wellen und muss kurzzeitig sein „Fahrwerk“ ausfahren. Das schaut ziemlich lustig aus.
13:33 Uhr: Gute Laune an Bord. Der Wind hat wieder etwas zugenommen, wir fahren mit fast 6 kt aufs Ziel zu. Reto hat eine neue Frisur im Gesicht und mein Tagebuch hat neue Zeilen bekommen.
14:30 Uhr: Der Wind nimmt bis auf 14 Knoten zu, das Schiff beginnt zu krängen (sich zur Seite zu neigen wegen des Winddruckes in den Segeln). Ich fiere den Gennaker etwas auf und falle etwas ab. Danach stehe ich für die nächste Stunde am Steuerstand, um sofort eingreifen zu können, sollte Mauna Loa aus dem Ruder laufen. Die Männer stecken mit ihren Nasen in den Krimis.
15:00 Uhr: Hunger! Mittagessen ist angesagt. Für Reto und mich gibt es je einen Teller Rotes Curry mit Basmati-Reis – Reste des gestrigen Abendessens. Mätthu gönnt sich ein Schoggimuffin. Im Kühlschrank wartet noch ein schiffsgemachtes Tiramisu von Reto auf uns, doch das sparen wir für morgen auf. Mittlerweile segelt es sich immer noch schnell, aber nicht mehr überpowert. Wir machen gut Strecke. Reto rätselt, wie lange wohl ein Flugzeug von den Azoren nach Irland braucht. Wir einigen uns auf etwa 2.5 Stunden. Der Vergleich sorgt kurzfristig für eine etwas gedämpfte Stimmung. „Da kannst du unterwegs aber kein Tiramisu herstellen und ein bequemes Bett hast du auch nicht!“, argumentiere ich. Allgemeines Grinsen.
15:55 Uhr: Reto startet den Generator und beginnt Schoggi-Kokos-Makkaronen zu backen. Dazu legt er laute Musik auf. Mätthu ruht sich im Schiffsinnern etwas aus. Ich schaue den Portugiesischen Galeeren zu, die zu dieser Jahreszeit im Atlantik zu Tausenden vorkommen. Wenn man alle Portugiesischen Galeeren der Welt zählen würde, wie viele Nullen hätte wohl die Zahl? Oder, wenn man alle aufeinander stapeln würde, wie oft könnte man die Strecke zum Mond zurücklegen?
16:30 Uhr: Zeit für unser allabendliches Telefon mit der Welt! Intermar auf Kurzwelle. Ein Verein von Amateurfunkern, der zweimal täglich einen Segler-Funk-Austausch moderiert. Wer auch immer mit seiner Segeljacht unterwegs auf den Weltmeeren ist kann sich melden, seine aktuelle Position aufnehmen lassen, sich nach den aktuellen Geschehnissen auf der Welt erkundigen oder sich im Notfall mit einem Arzt verbinden lassen. Oder sich mit etwas Smalltalk auch ganz einfach die Zeit vertreiben. Es macht Spass zu hören, wie es anderen gerade in der Biskaya, auf den Balearen oder in der Karibik geht! Heute möchten wir darum bitten, uns die aktuellsten Wetterdaten durchzugeben. Wir konnten nämlich seit nunmehr 48 Stunden keine Wetterkarte mehr empfangen. Entsprechend gespannt warten wir auf den Beginn der Funk-Runde. Leider können wir den Moderator heute fast gar nicht verstehen, trotz mehrfachen Optimierungsversuchen. Schade!
17:05 Uhr: Mätthu versucht sich erneut im Empfang der Wetterkarten. Aber noch ist nichts zu wollen, wahrscheinlich steht die Sonne noch zu hoch am Himmel. Retos Schoggi-Makkaronen sind mittlerweile fertig gebacken, es duftet herrlich im Schiff! Ich löse die letzte der zehn Grand Master Aufgaben des Rush Hour Spiels. Mauna Loa fährt weiterhin mit einem perfekt stehenden Gennaker genau auf Kurs.
17:40 Uhr: Endlich! Die lang ersehnten Meteo-Daten sind eingetroffen. Gespannt starren wir auf Retos Laptop-Bildschirm als die Datei lädt. Sesam öffne dich! Kurz darauf macht sich Erleichterung breit. Wir erwarten weiterhin guten Wind und bis Ende der Überfahrt ist kein Schwerwetter zu erwarten.
18:06 Uhr: Die Wolken, die den ganzen Tag den Himmel bedeckt haben ziehen endlich ab. Der Mond ist bereits aufgegangen, während die Sonne im Westen noch etwa 30 Grad über dem Horizont steht. Zeit um zu überprüfen, ob unser GPS noch stimmt! ;-) Ich hantiere im Cockpit mit dem Sextanten, während Reto auf meinen Zuruf die sekundengenaue Uhrzeit notiert. Danach bin ich eine Stunde lang mit Berechnungen beschäftigt.
19:25 Uhr: Reto tischt ein Apéro auf. Pistazien, Oliven und für jeden ein Getränk. Mätthu raucht Pfeife.
20:10 Uhr: Mittlerweile hat der Wind noch ein wenig mehr aufgefrischt, die Fahrt unter Gennaker wird mehr und mehr haarig. Mätthu unterbricht sein Pfeife-Rauchen. Wir bergen die farbige Blase und wechseln auf Gross und Genua. Eine Viertelstunde später laufen wir unter der neuen Besegelung wieder auf Kurs.
20:41 Uhr: Sonnenuntergang. Während wir noch den orangen Streifen am Horizont nachschauen bekommen wir kurzfristig Besuch einer Gruppe Delfine. Sie schwimmen kurz in unserer Bugwelle mit und ziehen dann wieder weiter.
21:08 Uhr: Mätthu kocht eine Suppe. Damit auch bei Welle die Pfannen nicht durch die Gegend fliegen ist unser Kochherd schwingend gelagert. Ausserdem haben wir Halterungen, die die Töpfe gegen das Verrutschen sichern. Gibt es wirklich viel Seegang empfiehlt es sich, stets den grössten verfügbaren Topf zu verwenden. Da bleibt mehr Reserve gegen das Überschwappen. Auch alle anderen Utensilien müssen während des Kochens jeweils so positioniert werden, dass sie möglichst nicht das Weite suchen können. Insbesondere bei Messern empfiehlt sich aus eigenem Interesse eine sorgfältige Platzierung. Sind Wind und Welle wirklich heftig, bekommt der Koch eine Hilfsperson gestellt, die beim Festhalten der umherrutschenden Gegenstände hilft. Trotzdem kann es spannende Momente geben: Wie bedient man beispielsweise eine Pfeffermühle, wenn man eigentlich eine Hand braucht um sich selbst irgendwo festzuhalten? Da bleibt nur die Möglichkeit, sich mit Beinen und Hinterteil irgendwie zwischen den Küchenmöbeln zu verkeilen. Dennoch versuchen wir auch bei schlechtem Wetter einmal am Tag warm zu kochen und gemeinsam zu essen. Heute geht es glücklicherweise relativ entspannt zu. Reto hantiert derweil am Kurzwellenfunkgerät. Bald darauf hören wir abwechslungsweise ganz schlechte Musik, arabische Diskussionen und eine Reportage über Schweinepest auf BBC. Aber immerhin: Wir haben Kontakt zur Welt!
21:35 Uhr: Abendessen: Eine leckere Suppe mit Wienerli. Mätthu haut sich danach aufs Ohr, ich erledige den Abwasch. Reto kontrolliert das Wetter-Routing.
22:30 Uhr: Zeit für eine kurze Dusche, bevor um 23 Uhr meine Wache beginnt. Wir liegen auf Steuerbordbug, das ist ganz praktisch. Liegen wir nämlich auf Backbord läuft die Dusche nicht ab: Der Ablauf liegt dann höher als das sich in der Duschwanne sammelnde Wasser. Ich lehne mich gegen die Wand der Duschkabine um trotz Geschaukel nicht den Halt zu verlieren. Bei schwerem Wetter wird übrigens nicht nur die Arbeit in der Küche zur Herausforderung: Schon alleine der Gang durchs Schiff kann spannend sein, ganz zu schweigen vom Schlaf in einem umherhüpfenden Bett oder das Aufsuchen der Toilette. Da hilft nur 5 Punkte-Fixierung auf der Kloschüssel: Hände, Füsse und Hinterteil sorgen für eine stabile Positionierung :-P
23:00 Uhr: Wachwechsel, ich sattle meine Rettungsweste. Die nächsten drei Stunden gehören mir. In den letzten Monaten hat sich unser „Drei-Stunden-Wachsystem“ bewährt. Jeder geht jeweils drei Stunden Wache und hat danach 6 Stunden Freiwache. Diese Zeit reicht für die Freiwache aus um Schlaf zu tanken, gleichzeitig ist aber auch bei schwierigen Bedingungen der Wachführer nicht allzu lang gefordert. Wachwechsel ist jeweils um 02, 05, 08, 11, 14, 17, 20 und 23 Uhr. Seglerische Tätigkeiten die mehrere Personen erfordern, wie z.B. Segelwechsel, erledigen wir tagsüber dann wann es nötig ist, nachts versuchen wir dies auf die Zeit des Wachwechsels zu schieben, wenn ohnehin zwei Personen an Deck sind. Ist dies nicht möglich, müssen der jeweils darauffolgende Wachhabende oder gar alle drei aus den Federn. Aktuell ist die Situation entspannt, der Wind stabil. Wir laufen um die 6 kt auf Kurs 040. Reto verkriecht sich in die Bugkabine.
23:13 Uhr: Ich bin zufrieden mit der Situation, alles ok an Deck. Soeben konnte ich erneut einem magischen Zahlenwechsel auf dem Plotter beiwohnen: Nur noch 799.9 Meilen bis Irland. Ich setze mich im Salon auf die Bank. Von hier hab ich die Instrumente am Navigationstisch im Blick und kann auch schnell an Deck, sollte etwas aus dem Ruder laufen. Die Zeit vertreibe ich mir mit Hörspielen. „Die Drei ???“. Ein Relikt aus meiner Kindheit. Für Nachtwachen sind die Fälle der drei Juniordetektive aus Rocky Beach in Kalifornien perfekt: Sie sind oft nicht allzu kompliziert gestrickt, so dass man sich nebst dem Hörspiel noch aufs Segeln konzentrieren kann. Und es gibt jede Menge davon: Mittlerweile fast 200 Fälle. Wir könnten also um die Welt segeln, bevor mir die nächtliche Unterhaltung ausgeht.
00:18 Uhr: Weiterhin nichts als Wasser. Der Mond steht zwar hinter den Wolken, erhellt aber die Szenerie dennoch ein klein wenig. Der Wind nimmt zu, Mauna Loa nimmt die Herausforderung gerne an und läuft mittlerweile 7 Knoten.
01:05 Uhr: Der Mondschein ist mittlerweile fast verschwunden, es ist eine extrem dunkle Nacht. Der Wind hat noch mehr zugenommen, mittlerweile rast Mauna Loa mit fast 8 Knoten über den Ozean. Ich stoppe den Autopiloten und steuere von Hand um eine Rückmeldung über das Steuerverhalten zu bekommen. Wie erwartet hat der Ruderdruck deutlich zugenommen. Ich fiere das Grosssegel auf und nehme Krängung aus dem Schiff. Es wird langsam Zeit für ein Reff. Bei diesiger Sicht wie ein ICE durch die Nacht zu rasen und meine Kumpane um die Nachtruhe zu bringen ist nicht optimal. Mit dem nun deutlich zu offenen Grosssegel lässt sich das Schiff aber gut kontrollieren – ich kann das Reffen bis zu Mätthus Wachantritt in einer Dreiviertelstunde vertagen um ihn nicht frühzeitig wecken zu müssen.
02:00 Uhr: Ich wecke den trotz rasanten Bedingungen tief schlafenden Mätthu. Gemeinsam ziehen wir das zweite Reff ins Grosssegel ein. Als wir damit fertig sind beginnt es gerade zu regnen. Möglicherweise ist die deutliche Windzunahme dadurch zu erklären.
02:20 Uhr: Bettzeit. Obwohl ich hundemüde bin dauert es ein wenig bis ich einschlafe, die Geräuschkulisse des mit guter Geschwindigkeit durchs Wasser pflügenden Buges ist eindrücklich.
08:00 Uhr: Tagwache für mich, ein neuer Tag beginnt. Tag 4 auf See. Unsere Position: 43° 00.4’ N / 021° 49.9‘ W. In den letzten 24 Stunden haben wir fast 150 sm zurückgelegt, ein sehr gutes Ergebnis. Der Regen hat aufgehört, die Sonne drückt durch die Wolken. Verschlafen trete ich meine Wache an und reffe mit Reto das Grosssegel aus, denn mittlerweile hat der Wind deutlich abgenommen. Danach setze ich eine Kanne Kaffee auf und decke im Cockpit den Frühstückstisch. Zu dritt geniessen wir ein leckeres Zmorge. Zufrieden blicke ich übers Wasser. Es bleiben noch 750 Meilen bis Irland.