Schwefel- und Käsegeruch im Reich der Vulkane

Geposted am 12 October, 2018 von Chris

Lang ist’s her, seit wir unseren letzten Blogeintrag veröffentlicht haben. Seither hat sich viel ereignet und das Verfassen neuer Blogeinträge ist vor lauter Abenteuern zu Land und zu Wasser etwas in den Hintergrund geraten. Doch jetzt ist es soweit: Hier kommt unser Bericht zu unserer Etappe um Sizilien und die Liparischen Inseln. Das Reich der Vulkane hat nämlich so einiges zu bieten!

Anfang September trifft Christina wie geplant in Catania auf Sizilien ein. Somit ist die Crew endlich komplett und die Reise kann starten! Mauna Loa hat hier in den letzten zwei Wochen einige Reparaturen erhalten, die noch während einiger Tage fortgeführt werden. Mitte September ist es schliesslich soweit: Wir verlassen nach drei Wochen den sicheren (aber wie im letzten Blogeintrag erwähnt unglaublich lauten) Hafen Catanias und entweichen in die See vor der sizilianischen Ostküste. Gute Ankergründe sind in dieser Gegend äusserst rar, aber nach drei Wochen in Catania haben wir das Hafenleben so satt, dass wir uns sogar mit einer ziemlich schaukligen, und praktisch ungeschützten Ankerbucht begnügen, nur um unsere Ohren endlich vor den penetranten Outdoordiscos Catanias in Sicherheit zu bringen. Unsere Übernachtung am wohl eher selten frequentierten Ankerplatz ruft denn auch prompt die Guardia Finanza auf den Plan, und wie schon öfters in der letzten Zeit werden nachts plötzlich grelle Scheinwerfer auf unser Schiff gerichtet. Glücklicherweise ist die Sache auch diesmal rasch beendet: „Svizzera, Svizzera.“, hören wir die Beamten auf dem Schiff neben uns sagen, bevor die Motoren aufheulen und die Kontrolle so rasch beendet ist, wie sie begonnen hat.

In den nächsten Tagen segeln wir entlang der Ostküste Siziliens nach Norden. Wir besichtigen die Stadt Taormina, entdecken die Tauchgründe um die Isola Bella und besteigen den Ätna. Viel Wind ist aktuell nicht vorhanden, dafür können wir Mauna Loa auch sorglos einen Tag vor Anker lassen ohne zu riskieren, dass sie abtreibt.

Als wir schliesslich die berüchtigte Strasse von Messina in Angriff nehmen ist Halbmond, ein guter Zeitpunkt. Die Strömungen in der Meeresenge sind jetzt schwächer als zu Voll- oder Leermond. Es ist pechschwarze Nacht, als wir von der Vessel Traffic Control über Funk durch die Meerenge geleitet werden. Kein Segelgebiet für schwache Nerven: Die Fähren und Frachter schiessen von allen Seiten mit bis zu 25 Kt Fahrt an uns vorbei. Im Vergleich dazu ist der Schlag nach Milazzo im Norden Siziliens am nächsten Tag eine richtige Kaffee-Fahrt: Unter Spinnaker gondeln wir der Küste entlang und lassen uns nach Einbruch der Dunkelheit von den zahlreichen Fackeln der Erdölraffinerien Milazzos den Weg weisen bis wir vor den Mauern der Stadt den Anker fallen lassen.

Am nächsten Tag füllen wir unsere Vorräte und die Wassertanks auf und nehmen Kurs auf die Liparischen Inseln. Schon lange haben wir uns auf diese Inseln gefreut, jetzt endlich tauchen sie am Horizont auf. Jedenfalls für Matthias und Chris. Reto sitzt fast während der gesamten Überfahrt im Motorenraum und reinigt verdreckte Dieselfilter, eine Aufgabe, die schon länger anstand. Als er den Kopf wieder ins Freie steckt, ist von den Inseln kaum mehr etwas zu sehen: Ihre unbeleuchtete Silhouette hebt sich kaum von der schwarzen Nacht ab als wir eine kleine Bucht vor Vulcano ansteuern. Mittlerweile sind wir uns das Segeln und Ankern im Dunklen schon bestens gewohnt – was man auch daran erkennt, dass unsere Stirnlampen fast einmal pro Woche mit frisch geladenen Batterien versorgt werden wollen. Bald sitzt der Anker bombenfest und der Feierabend kann beginnen. Mätthu ist hungrig und fragt, was wir heute kochen würden. Reto und Chris unisono: „Heute kochen wir nichts.“ Mätthu etwas irritiert: „Aha?!“ Reto doppelt daraufhin noch nach: „Es ist ja schon dunkel.“ Bevor Matthias allzu verzweifelt wird rücken wir mit der Wahrheit raus: Heute wird nicht gekocht. Heute gibt es Fondue! Etwas später sitzen wir gemütlich um den Tisch im Cockpit und tunken frisches Brot, Champignons, Silberzwiebeln und Birnen in die Käsesauce. Ein Stück Heimat in der Fremde. Fondue kann offensichtlich auch bei 30°C statt bei Winterkälte unglaublich lecker sein!

Der Gestank, der in der darauffolgenden Nacht alle paar Minuten durchs Schiff wabert, stammt allerdings nicht von Käse: Je nach Windrichtung senden die Fumarolen Vulcanos stinkende, trübe Schwefelwolken in unsere Richtung. Als ob dies nicht schon des Gestankes genug wäre hüpft Reto tags darauf ins berühmt-berüchtigte Schlammbad Vulcanos und geniesst dies sichtlich. Um diese olfaktorische Belästigung in Form unseres Skippers wieder loszuwerden unternehmen wir in den nächsten Tagen einige tolle Tauchgänge an den Küsten Vulcanos, Liparis und Filicudis und geniessen die Schönheiten der Unterwasserwelt. Christina übernimmt jeweils die Rolle des Tauchguides, die Jungs wechseln sich mit tauchen und Dingi fahren ab.

Auch Freunde der Kulinarik kommen im Reich der Vulkaninseln voll auf ihre Kosten: Jeden Tag kommen die lokalen Fischer mit ihren Booten bei unserer Jacht vorbei uns preisen ihren frischen Fang an. Mätthu kann seine hervorragenden Kochkünste fast täglich beweisen und wird hoch gelobt.

Via die Inseln Filicudi und Alicudi segeln wir nach Westen, wobei es sich Reto und Chris nicht nehmen lassen, den Gipfel Alicudis zu besteigen. Die 1400 Treppenstufen die zum 700 m hohen Gipfel führen, stecken den beiden noch lange in den Beinen. Belohnt werden sie mit einer wunderbaren Aussicht, Hunderten von Eidechsen und mehreren, kleinen Schlangen am Wegesrand.

Danach geht’s weiter zur abgelegenen Insel Ustica nördlich von Palermo. Die Überfahrt hält mal wieder einige Überraschungen für uns bereit: Mitten während des Mittagessens reisst unverhofft das Spinnaker-Fall. Reto reagiert blitzschnell und schlägt das Ruder hart ein – so bleibt das Segel intakt und ist nach kurzer Zeit wieder an Bord – allerdings ist es klitschnass und wir ebenso. Im Laufe des Nachmittages  nehmen Wind und Welle immer mehr zu: Keiner von uns kann sich erinnern, schon mal so hohe Wellenberge angerauscht gesehen zu haben, erst recht nicht im Mittelmeer. Da wir vor dem Wind segeln, bleibt die Fahrt trotzdem einigermassen angenehm. In den Hafen von Ustica können wir bei diesen Bedingungen allerdings nicht einlaufen, er ist nicht genügend geschützt. Stattdessen verkriechen wir uns in eine Ankerbucht auf der Westseite der kleinen Insel. Mit viel Schwell und starken Böen (Spitzen bei knapp 50 Kt) wird die Nacht nicht unbedingt angenehm, vor allem auch deshalb nicht, weil wir den Anker wohl zwischen Steine gesetzt haben – bei jeder Bewegung des Schiffes rumpelt es durchs ganze Schiff, wobei der Stahlrumpf als Resonanzkörper die Geräusche noch bedrohlicher werden lässt. Entsprechend müde sitzen wir am nächsten Morgen am Zmorge-Tisch.

Die Wetterlage hält auch am Folgetag noch an. Es heult durch das Rigg und ausserhalb der Bucht sehen wir gigantische Wellenkämme vorbei rauschen. Die geplante Überfahrt nach Sardinien wird somit erst auf den nächsten Tag angesetzt. Stattdessen erkunden Reto und Mätthu die Insel, die ihnen sehr gut gefällt. Chris geniesst währenddessen die "sturmfreie" Zeit auf dem Boot und arbeitet fleissig an ihrer Dissertation, die bald eingereicht werden soll.

Am 27. September ist es schliesslich soweit: Wir lichten den Anker und nehmen Kurs auf Sardinien. Mit dem Gross im 3. Reff und der nur zu 50% gesetzten Genua rauschen wir bei etwa 6 Windstärken der Südspitze der Insel entgegen. Die sternenklare Nacht, erhellt von unzähligen Leuchtquallen und später vom aufgehenden Noch-fast-Vollmond, ist unvergesslich. Und obwohl wir uns „nur“ im Mittelmeer befinden, haben wir all dies für uns allein: Während der zwei Tage dauernden Überfahrt sichten wir nur ein einziges Schiff. Zufrieden erreichen wir am 29. September Cagliari im Süden Sardiniens und übernachten zum ersten Mal seit Verlassen Catanias wieder im Hafen. Nach gut 14 Nächten vor Anker, in denen wir regelmässig wegen Schwell kräftig durchgeschüttelt wurden, sind wir darüber ausnahmsweise ganz froh.

In den nächsten Tagen werden wir Besuch von zwei Freunden bekommen, die uns auf die Balearen begleiten wollen. Ausserdem sind einige Kleinigkeiten zu reparieren und Chris will das Paper für ihre Dissertation soweit bekommen, dass es noch vor Verlassen Cagliaris einem ersten Journal eingereicht werden kann. Es gibt also Einiges zu tun für die Mauna Loa Crew! Doch schon in der ersten Oktoberwoche warten wieder neue Segelabenteuer auf uns.