Mauna Loa am Ende der alten Welt

Geposted am 2 April, 2019 von Chris

Bald acht Wochen ist es her, seit wir Marokko verlassen haben. Die Zollformalitäten zur Ausreise waren ebenso unkompliziert wie bei der Einreise, die Beamten uns schon bekannt. Sie wünschten uns eine gute Reise und sollten wir wiederkommen, seien wir bei ihnen zum Couscous eingeladen.

Die Überfahrt auf die Insel La Graciosa im Nordosten der Kanarischen Inseln dauerte vier Tage. Vier Tage Wasser, selten mal ein Frachtschiff, nachts Millionen von Sternen am Firmament. Insgesamt hatten wir meist schwachen Wind, konnten aber trotzdem bis auf einige wenige Motorstunden die gesamte Strecke segeln. Und da der Wind fast immer von hinten wehte hatten wir mehr als genügend Zeit, die Handhabung unseres 210 m2 grossen Parasails und des 6.5 m langen Spinnakerbaums zu trainieren. Dazwischen blieb Zeit zur Entspannung. So konnte ich beispielsweise während des Segelns auf dem Vorschiff die Hängematte aufspannen, einige Lieder von Peter Reber trällern und die Seele baumeln lassen. Allerdings galt es sich gut festzuhalten: Eine Hängematte auf einem schwankenden Schiff kann sich beachtlich aufschaukeln! Nachts zogen Leuchtdelfine unsere Aufmerksamkeit auf sich: Wenn die Meeressäuger durchs Wasser pflügten leuchtete das in rauen Mengen vorhandene Leuchtplankton so sehr auf, dass die Tiere Kometenschweife hinter sich her zogen. Ein märchenhafter Anblick!

Auf den Kanarischen Inseln angekommen stellten wir unsere Uhren im Vergleich zu Mitteleuropa eine Stunde zurück. Dies hatten wir bereits in Marokko getan, was jedoch ein Fehler war. Erst als wir fünf Tage nach der Einreise im Bahnhof Rabats standen und zu unserem Erstaunen den Zug verpasst hatten, wurde uns klar, dass wir uns in der falschen Zeitzone glaubten. Marokko hat nämlich im letzten Herbst zur Mitteleuropäischen Zeit gewechselt, und befindet sich damit neu in der gleichen Zeitzone wie z.B. die Schweiz und Spanien. Der Wechsel wurde nur einen einzigen Tag vor der Zeitumstellung im Oktober bekannt gegeben – das Chaos im Land war perfekt. Denn genau so wie wir hatten auch einige Einheimische den spontanen Entscheid des Königs nicht mitbekommen, das marokkanische Leben geriet kurzzeitig aus den Fugen. Noch immer zeigen automatische Uhren die falsche Uhrzeit an und sämtliche Flieger der Marokkanischen Airlines starten konsequent mit einer Stunde Verspätung – die Flugpläne liessen sich nicht mehr ändern. Doch hier auf den Kanaren sind wir nun definitiv eine Stunde hingedri.

Die erste Insel die wir besuchten war die kleine Isola Graciosa, nördlich von Lanzarote. Hier gibt’s keine befestigten Strassen und kaum Autos. Die Fährverbindungen nach Lanzarote bestimmen den Tagesrhythmus der Bevölkerung und auch der wenigen Touristen. Ideal also, um sich vor Anker liegend zwei Tage von der Überfahrt zu erholen und sich wieder ans westliche Leben zu gewöhnen.

Von der Isola Graciosa segelte Mauna Loa weiter nach Lanzarote, zur Isla de los Lobos und Fuerteventura. Immer wieder machten wir von unserer Tauchausrüstung Gebrauch, unternahmen Mountainbike-Touren oder erkundeten mit einem Mietauto die Vulkaninseln. Die Möglichkeiten für Ausflüge sind vielfältig.

Die frühlingshaften Temperaturen und die Schönheiten der Inseln ziehen auch grosse Kreuzfahrtschiffe an. In Puerto del Rosario auf Fuerteventura konnten wir einen Tag lang die AIDAnova als Hafennachbarin begrüssen. AIDAnova lief 2018 vom Stapel und ist und aktuell das viertgrösste Kreuzfahrtschiff der Welt. Der knapp 340m lange Koloss kann bis zu 6600 Gäste und 1500 Crew-Mitglieder beherbergen. Da kamen wir uns mit unseren 15 Metern richtig klein vor! Als Abends alle Gäste wieder an Bord waren und das Ablegemanöver AIDAnovas begann, schalteten wir sämtliche Scheinwerfer und Beleuchtungen an Deck unserer Mauna Loa ein und setzten uns mit einem Getränk ins Cockpit. Schliesslich bekommt man nicht alle Tage ein solches Kino direkt vor der Haustüre geboten! Allein schon das tiefe Schiffshorn löste ein Kribbeln im Bauch aus. Während sich die Kleinstadt langsam aus dem Hafen schob, standen hunderte Menschen auf den Balkonen und der Reeling und blickten auf unser winziges Zuhause hinunter. Irgendwer schaltete die Taschenlampe seines Handys ein und winkte uns im Dunkeln zu. Wir winkten zurück. Und plötzlich wurden auf Duzenden Balkonen Lichter geschwenkt. Ein sehr bewegender Augenblick.

Im Süden Fuerteventuras angekommen wagte ich mich an meine ersten Kite-Surfing-Versuche, während Mätthu sich beim Wellenreiten austobte. Beide haben wir mehr als genügend Wasser geschluckt, aber jede Menge Spass gehabt. Noch einige Tage später wurden wir an die Stunden im Wasser erinnert: Mich zierten blaue Flecken von diversen misslungenen Startversuchen, Mätthu mehrere Abschürfungen am Hals durch einen nicht perfekt sitzenden Neopren-Anzug. Und noch etwas hat sich seither geändert: Mauna Loa transportiert neuerdings ein Surfbrett. Falls wir also auf die perfekte Welle stossen sollten: Mätthu ist bereit! Auch Reto wagte sich aufs Wasser: Während unsere 27 t schwere Lady im Hafen sicher vertäut war, nahm er zusammen mit mir eine Privatlektion in Hobby-Katamaran-Segeln. Die Gischt flog nur so dahin, während wir mit 14 Knoten auf nur einem Rumpf durchs Wasser schossen.

Auch sonst war unser Aufenthalt in Morro Jable auf Fuerteventura abwechslungsreich: Mit Stegnachbarin Sylvia von der Segeljacht Lady S entstanden gute Gespräche und Kaffee-Runden. Ausserdem war der Hafen ein einziger Zoo: Adlerrochen und Stechrochen bevölkerten den Grund des Hafenbeckens, paarungswillige Möwen die Radarschüsseln der diversen Motorboote, Graureiher die Reeling von Fischerbooten und eine Gruppe Wildgänse nahm laut protestierend die Wasserflächen zwischen den Booten für sich in Anspruch. Letztere klopften gelegentlich auch mit ihren Schnäbeln an den Bootsrumpf in der Hoffnung etwas Essbares zu erhalten oder knabberten genüsslich am Hydraulik-Schlauch des Achterstages (was sie eindeutig lustiger fanden als wir). Zahlreiche, teilweise beinahe handzahme Atlas-Hörnchen bewohnten kleine Höhlen im Lavagestein und an der Hafenmole konnten wir hunderte Krabben beobachten. Unweit der Marina entdeckte ich auf einem Tauchgang ausserdem Elektrorochen und ein ganzes Duzend der wunderschönen, aber vom Aussterben akut bedrohten Engelhaie.

Vor zehn Tagen stachen wir schliesslich mit Destination El Hierro in See. El Hierro ist die westlichste Insel der Kanaren und war lange Zeit das Ende der bekannten Welt. 200 sm liegen zwischen Fuerteventura und El Hierro, die Route führte uns einmal quer durch die Kanarischen Inseln. Es wurden zwei sehr anstrengende Tage. Knapp 2.5 Meter hohe Wellen liessen mich nachts im Bett wie ein Gumpibäueli hin und her hüpfen, und beim Kochen (Gnocchi mit Pilzrahmsauce) wurden die Champignons beinahe seekrank. Draussen herrschten während mehrerer Stunden 7 Windstärken (im Schnitt um die 32 Knoten), in den Böen teilweise über 40 kt. Mätthu fasste die Situation prägnant zusammen: „Auso we mer no meh Säguflechi wäg reffe müesse, chöi mer statt Sägu grad es Nastuech ufehänke!“ Doch Mauna Loa machte ihre Sache auch bei diesen Starkwind-Bedingungen ausgezeichnet und brachte uns sicher in den Hafen von Estaca auf El Hierro.

Hier trafen wir auf unsere beiden Freunde Sebastian und Fabian. Die beiden sind in gleicher Mission unterwegs wie wir: Ein Zwischenjahr auf See. Nachdem wir uns in den letzten Monaten immer wieder verpasst hatten freuten wir uns nun umso mehr, die beiden und ihr Schiff In Vivo endlich einmal zu treffen (Link zu ihrem Blog: http://syinvivo.blogspot.com). Es wurden einige sehr unterhaltsame Tage. Mätthu und Fabian tobten sich auf der extrem steilen Insel beim Mountainbiken aus, während Sebastian, Reto und ich die Unterwasserwelt der Insel erkundeten. Unser Tauchkompressor lief heiss. Auch gemeinsame Inselausflüge und gemütliche Abendessen in der grossen Runde (Fondue!) bestimmten den Alltag. Danach hiess es vorläufig Abschied nehmen, die beiden reisten weiter nach La Palma im Norden und planen von dort die Weiterreise nach Madeira. Wir hingegen verschoben uns für einige Tage in den Süden El Hierros in den Hafen von La Restinga. Die Umgebung La Restingas mit seinem Meeresschutzgebiet ist für seine tollen Tauchplätze berühmt. Und tatsächlich konnten wir riesige Zackenbarsche, Blauflossen-Thunfische, grosse Langusten und Leoparden-Meeraale bewundern. Daneben blieb genügend Zeit um zu lesen oder Reisetagebuch zu führen. Und da wir direkt an der felsigen Hafenmauer lagen, konnte ich jeden Abend meinen neuen Haustieren Gute Nacht wünschen: Direkt unter der Wasseroberfläche leben duzende Garnelen an der Wand, deren Augen nachts im Licht der Taschenlampe gespenstisch reflektieren.

Heute war schliesslich auch für uns die Zeit gekommen, zur Insel La Palma aufzubrechen. Seit acht Uhr morgens sind wir nun unterwegs nach Norden. Schon zweimal hatten wir Besuch von Delfinen, entdeckten mehrere Portugiesische Galeeren (eine Quallenart) und begrüssten drei Meeresschildkröten. Das Ende der bekannten Welt haben wir vor einigen Stunden hinter uns gelassen, gerade taucht La Palma aus dem Dunst auf. Bestimmt wird auch diese Insel uns wieder mit einmaligen Landschaften, endemischen Pflanzenarten und einer spannenden Unterwasserwelt begrüssen. Ihr werdet es erfahren.

Bis es soweit ist, könnt ihr euch die Zeit mit unserer aktuellsten Gallerie vertreiben: Kanaren: Am Ende der bekannten Welt