Hinter uns wird der Hafen von Ponta Delgada immer kleiner. Die grüne Insel und ihre Vulkangipfel erstrahlen in bestem Sonnenlicht. Fast scheint es, als wollen sich die Azoren zum Abschied noch einmal in ihrer vollen Schönheit präsentieren. Der Wind ist gut, wir setzen Segel. Bald werden wir dieses wunderschöne Archipel hinter uns gelassen haben. Vor uns liegen neun Tage und knapp 2500 km auf dem offenen Atlantik.
Rückblende: Wir schreiben den 31. Mai. Reto steuert Mauna Loa gekonnt wie immer aus dem Hafen von Funchal auf Madeira. Die letzte Woche haben wir mit Wartungsarbeiten verbracht, doch jetzt sind wir parat für die Überfahrt auf die Azoren. Dieses Archipel liegt etwa auf der Höhe von Lissabon, knapp 1000 sm (um die 1800 km) vom europäischen Festland entfernt. Amerika liegt nicht viel weiter weg. Offiziell gehören die neun Inseln zu Portugal und dementsprechend zur EU. Die Uhren ticken hier allerdings oft etwas anders als auf dem Festland. Wen wundert es, wenn man so exponiert draussen im Atlantik lebt?
Gute vier Tage brauchen wir für die 550 sm von Madeira nach Santa Maria, der südlichsten der Azoreninseln. Es ist eine sehr abwechslungsreiche Überfahrt. Viel und wenig Wind wechseln sich ab, auch die Windrichtung ändert sich immer mal wieder. Wir sind gefordert. Doch es gibt auch gemütliche Momente: Während einer Flaute-Phase hüpfen wir zur Erfrischung ins Meer. Genau 5000 m Wassertiefe zeigt die Seekarte hier an – ein ziemlich tiefer Swimming Pool! An der Oberfläche schwimmt ein grosser Kanister, den wir aufs Boot holen und an Land ordnungsgemäss entsorgen wollen. Als wir uns mit Taucherbrille und Schnorchel dem Plastikmüll annähern sehen wir allerdings, dass dieser Kanister bereits zu einem treibenden Riff geworden ist. Üppiger Muschelbewuchs hängt daran, darunter befinden sich ein Atlantischer Drückerfisch und diverse juvenile, etwa 25 cm grosse Driftfische. Weiter unten im kristallblauen Wasser ist ein Sardinenschwarm zu erkennen. Auch er wird wohl von diesem treibenden Riff angezogen. Wir bringen es nicht übers Herz all diesen Individuen ihr Zuhause zu stehlen und lassen den Plastik ausnahmsweise weiter treiben.
An dieser Stelle eine Bitte an alle unsere Blogleser: Bitte reduziert wo immer möglich euren Plastikverbrauch. Während unserer Reise haben wir schon so viel Plastik aus dem Meer gefischt, dass wir mehrere Müllsäcke füllen konnten. Hunderte von Kilometern weit draussen im Ozean schwimmt unser aller Abfall herum. Ihn einzusammeln ist oft schwierig. Und diejenigen Dinge die an der Oberfläche treiben, sind nur die Spitze des Eisberges…
Müde aber äusserst zufrieden steuere ich nach diesen vier Tagen am 4. Juni frühmorgens Santa Maria an. Zum Schluss will es der Wind noch einmal wissen: Mit dem Gross im dritten Reff und der zur Hälfte weggerollten Genua schiesse ich mit Mauna Loa auf die Insel zu. Ein eher wilder Ritt. Im Schiffsinnern schlafen Reto und Mätthu den Schlaf der Gerechten, sofern sie nicht gerade von der einen Seite ihrer Betten auf die andere gerollt werden. Um halb neun Uhr mache ich Tagwache und verkünde nicht ohne Stolz, dass wir viel früher als die beiden erwartet hatten angekommen seien. Azoren, wir sind da!
Santa Maria wird der erste Stopp unseres schliesslich sechs Wochen dauernden Azoren-Aufenthaltes. Auf jeder Insel gibt es etwas Neues zu entdecken, seien es farbige Vulkanseen, Steilküsten oder winzige Vulkaninseln. Das Wasser ist mit knapp 19°C nicht gerade warm, dennoch gehen wir immer mal wieder baden und auch tauchen. Mit den Neoprenanzügen lässt es sich so eine gute Stunde aushalten bevor die Zähne zu klappern beginnen. Die Unterwasserwelt ist ein Traum. Basaltsäulen-Formationen, alte Wracks, riesige Zackenbarsche oder die grösste Krebsart Europas, die Seespinne, lassen uns staunen. Es macht unglaublich viel Spass, die Inseln nicht nur an Land oder zu Wasser, sondern auch im Wasser kennen zu lernen. Und dann sind da noch die grossen Meeresbewohner: Wale und Delfine.
Immer mal wieder werden wir von neugierigen Delfinen begleitet, nur einen Wal sehen wir nie, obwohl diese hier sehr häufig sein sollen. Nach drei Wochen verliere ich die Geduld und melde mich fürs Whalewatching an. Mit einem schnellen und wendigen Schlauchboot ausgerüstet mit Unterwassermikrofonen machen wir uns auf die Suche nach den riesigen Meeressäugern. Und werden tatsächlich fündig! Ein wunderschöner Pottwal präsentiert sich uns. Und gleich darauf zwei Sei-Wale, die drittgrösste Bartenwal-Art der Welt. Mir kommen fast die Tränen. Doch es kommt noch viel besser: Als wir tags darauf bei bestem Sonnenschein unter Parasail übers Meer gleiten erkenne ich am Horizont plötzlich wieder den Blas eines Pottwals. Als einzige Walart zeigt deren Blas 45° nach vorne statt nach oben. Wir wissen daher schon von weitem, dass dies da vorne ein Vertreter der grössten Zahnwalart der Welt ist. Etwa 10 Minuten ruhen sich die Tiere jeweils an der Oberfläche aus, danach tauchen sie wieder für eine knappe Stunde auf bis zu 1500 m ab um sich den Bauch mit Riesenkalmaren vollzuschlagen. Dieser Wal schwimmt genau auf uns zu. Schliesslich trennen uns nur noch wenige Bootslängen von diesem riesigen Tier. Ich hüpfe vor Freude auf dem Boot auf und ab wie auf einer Hüpfburg. In diesem Moment bin ich überzeugt: Ich bin gerade der glücklichste Mensch auf der Welt!
Mittlerweile haben wir Besuch aus der Schweiz bekommen, Stefanie und Jürg begleiten uns für zwei Wochen. Gleich am ersten Tag segeln wir von São Miguel in der Ostgruppe der Azoren in die Zentralgruppe – 150 sm am Stück. Zum Glück bringen beide Segelerfahrung mit und so wird die Überfahrt für alle zu einem tollen Erlebnis. Zum Dank für unsere Ausdauer bekommen wir Besuch von zwei Seeschwalben, die es sich auf unseren Solarpaneelen während Stunden gemütlich machen und sich nach Westen kutschieren lassen. Danach müssen wir allerdings die Paneele putzen: Die Tierchen haben sie als Klo missbraucht.
Die Ankunft in Horta auf der Insel Faial ist dann etwas weniger spassig: Der Hafen ist heillos überfüllt. Hunderte von Langfahrtenjachten quetschen sich in die viel zu kleine Marina, die meisten kommen direkt aus Amerika. Einen Platz am Steg zu bekommen ist unmöglich, also ankern wir im Hafenbecken, gemeinsam mit 40 (!) anderen Segeljachten. Es liegt kaum noch eine Bootslänge zwischen uns und unseren Nachbarn. Aber eine wirkliche Wahl haben wir nicht: Mittlerweile hat sich das Wetter rapide verschlechtert und auf dem Atlantik steht eine richtig fiese Welle und sehr viel Wind. Eine Regenfront bringt zudem viel Nass von oben. Auf dem Boot wird in dieser Zeit fleissig Dog gespielt – wir wissen uns die Zeit zu vertreiben. Als das Wetter schliesslich bessert unternehmen wir einen Ausflug mit dem Mietwagen. Die Insel ist schnell erkundet, nur die Caldeira lässt sich leider nie blicken – sie liegt stets in den Wolken.
Am Folgetag haben wir mehr Glück: Für Reto, Stefanie und Jürg steht die Besteigung des Pico, des höchsten Gipfels Portugals an. Dieser liegt auf der gleichnamigen Insel gleich neben Faial. Mätthu und ich erkunden währenddessen das einsame Hochland Picos und werden dabei immer wieder von auf der Strasse trottenden Kühen ausgebremst. Menschen? Gibt’s hier oben nicht!
Unser Weg führt uns weiter in die Westgruppe. Die beiden Inseln Flores und Corvo warten hier auf uns. Beide können nur besucht werden wenn das Wetter milde gestimmt ist. Corvo verfügt nur über einen ungeschützten Betonsteg , bei schlechtem Wetter will man hier auf keinen Fall liegen. Der Hafenmeister in Faial hat uns bereits vorgewarnt: Eine Fahrt in die Westgruppe? Schwierig! „If you arrive there and see too much wave, you go back!“ Back – das wären 1.5 Tage segeln zurück in die Zentralgruppe. Doch schliesslich tut sich ein gutes Wetterfenster auf und wir erkunden die beiden kleinen Inseln. Auf Corvo gibt’s nur ein Dorf, eine Strasse und 400 Einwohner. Eine winzige, abgeschiedene Welt, Amerika ist nicht mehr fern und doch unendlich weit weg. Weil das Frachtschiff seit zwei Wochen nicht mehr angelegt hat ist auch der Dorfladen ziemlich leer. Auf der Suche nach Eiern werden wir daher kurzerhand in den Hühnerstall eines Einwohners geschickt. So frische Eier hatten wir wohl noch nie auf dem Boot, sie sind sozusagen noch warm! Mauna Loa ist ausserdem eine der Hauptattraktionen der Insel – Dorfbewohner und Fischer kommen gleichermassen vorbei um sich die Fremdlinge von Nahem anzuschauen. Wir werden allerdings nicht misstrauisch, sondern neugierig und sehr offen empfangen. Auf Flores ergeht es uns ähnlich: Gute Gespräche, nette Bewohner, Hilfsbereitschaft und für Reto, Jürg und Stefanie ein Canyoning-Nachmittag prägen den Aufenthalt auf dem Eiland.
Danach geht’s zurück in die Zentralgruppe. Leider verlässt uns hier unser Wetterglück: Der Wind ist extrem flau. Unter Parasail können wir noch etwas segeln. Doch plötzlich fällt dieses in einem Windloch ein, verhängt sich in der Mastabspannung und zerreisst, bevor irgendjemand etwas machen kann, in der nächsten Windböe komplett. Ich könnte heulen. Frustriert ziehen wir das völlig kaputte, 210 m2 grosse Segel aus dem Wasser. Dabei ziehe ich mir ausserdem eine leichte Vernesselung eines abgerissenen Tentakels einer der hier zu Tausenden vorkommenden Portugiesischen Galeeren zu. Zum Glück nur eine leichte Vernesselung, die wir mit unserer viel zu gross geratenen Bordapotheke (Berufskrankheit ;-) ) rasch in den Griff kriegen. Freud und Leid liegen beim Segeln manchmal nahe beieinander!
Nach unserer Ankunft auf der Insel Terceira ruhen wir uns für einige Tage aus und bringen das Schiff auf Vordermann. Ausserdem warten ein riesiges Stadtfest und die traditionellen Stierkämpfe auf uns. Dabei werden die Stiere durch die Strassen getrieben. 10 Personen an einer langen Leine versuchen den Stier von allzu üblen Taten abzuhalten, während die Dorfjugend mit Regenschirmen bewaffnet den Stier reizt. Alle anderen stellen sich auf und hinter Mauern und wohnen dem Treiben aus sicherer Entfernung bei. Am Ende kommt der Stier zurück auf die Weide und darf sich auf saftig grünen Wiesen erholen.
Stefanie und Jürg reisen Ende Juni zurück in die von einer Hitzewelle geplagte Schweiz, dafür kommt Ben zu Besuch. Das gemässigte Klima der Azoren kommt ihm ganz gelegen. Gemeinsam erkunden wir die restlichen, von uns noch nicht besuchten Inseln der Azoren: Graciosa und São Jorge. Beide warten mit einer interessanten Unterwasserwelt und schöner Landschaft. Ausserdem wird es nun auch auf den Azoren langsam Sommer. Wir saugen die Wärme zufrieden in uns auf uns geniessen die erfrischende Kühle des Atlantiks. Beim Tauchen entdecken wir wieder neue Dinge und sogar das Schnorcheln im sehr sauberen Hafen von Velas auf São Jorge erinnert an ein Aquarium. Für einmal liegt das bekannte Azorenhoch nämlich tatsächlich über den Azoren. Meistens bringt es vor allem Europa gutes Wetter, während es über den Azoren eher für wechselnde Wetterbedingungen sorgt. Doch nun profitieren auch wir von einer stabilen Wetterlage. Allerdings sorgt das Hoch nicht nur für die langersehnte Wärme, sondern auch für absolute Flaute. Die geplante Rückfahrt nach Ponta Delgada verschieben wir daher um einige Tage, zu unangenehm ist die Erinnerung an die vielen Motorenstunden und das zerrissene Parasail bei unserer letzten Schwachwindüberfahrt. So kommen wir stattdessen in den Genuss einiger sehr entspannter Tage in Velas, wo uns schliesslich Ben verlässt. Wieder zu dritt treten wir die Überfahrt nach Ponta Delgada an – hier wartet das mittlerweile perfekt geflickte Parasail auf uns, das Jürg und Stefanie auf ihrer Heimreise vor 10 Tagen netterweise mitnehmen und beim Segelmacher deponieren konnten.
Der gestrige Tag schliesslich ist anstrengend: Schiffsputz, ein grosser Vorratseinkauf, Einsortieren aller gekauften Lebensmittel, einige Wartungsarbeiten, ein letztes Meteobriefing, eine Kontrolle der Fallen und Wanten, Verstauen des Dingis auf dem Vorschiff und viele andere Vorbereitungen warten auf uns. Bis spät in die Nacht sind wir beschäftigt um uns und Mauna Loa seetüchtig zu bekommen. Wind und Welle für die nächsten Tage sehen traumhaft aus, das ideale Wetterfenster um auf die nächste Insel zu kommen. Diese liegt allerdings gute 1300 sm (gegen 2500 km) weit entfernt und nennt sich: Irland.
Nein, Irland lag ursprünglich nicht auf unserer Liste der Segelziele. Und der eine oder andere fragt sich wohl immer noch, weshalb wir nicht in der Karibik sind. Nun, wer den Blog aufmerksam verfolgt hat weiss, dass wir wegen eines Wasser- und Brandschadens und eines demolierten Ankerbeschlags im Herbst gute zwei Monate in Mallorca verbringen mussten. Als wir schliesslich Mitte Dezember wieder seefest waren standen wir vor einer schwierigen Entscheidung: Karibik ja oder nein? Die Segelsaison in der Karibik ist kurz. Spätestens Ende April muss man diese verlassen, da anschliessend die Hurrikan-Saison beginnt. Hurrikane und Segelschiffe vertragen sich nun mal eher schlecht. Das wissen auch die Versicherungen und wer sich danach noch in dieser Region aufhält verliert seine Deckung. Nun ist die Strecke von Mallorca in die Karibik nicht gerade kurz und braucht auch bei schnellem Reisetempo um die 8 Wochen Zeit. Vor Mitte Februar wären wir deshalb kaum drüben gewesen, und das auch nur, wenn wir kaum je einen Stopp eingelegt, kaum je etwas besichtigt oder kennen gelernt hätten. Das entspricht aber nicht den Vorstellungen, die wir drei an unsere Reise haben. Wir möchten Zeit haben um Land und Leute kennen zu lernen, ja auch etwas von den lokalen Gepflogenheiten, der Sprache und der Tier- und Pflanzenwelt haben. Und so beschlossen wir im kühlen und regnerischen Herbst auf Mallorca, die Karibik anderen zu überlassen. Das verschaffte uns sehr viel Zeit um Dinge kennen zu lernen, die wir sonst nie gesehen hätten. Vielleicht kommt euch das eine oder andere Erlebnis aus einem vorherigen Blog bekannt vor: Mar Menor, das Binnenmeer in Südspanien: Einfach nur genial! Kameltrekking in der Sahara: Saugeil! Sich in einem marokkanischen Suq oder in einer Medina verlaufen oder mit Einheimischen mit Händen und Füssen über deren aus Rinde zusammengebastelte Zahnbürsten diskutieren: Unbezahlbar! Tauchen vor jeder Insel der Kanaren: Ein Traum! Blätterrauschen und Vogelgezwitscher hören unter den Bäumen Madeiras: Nach den Kargen Kanaren ein Gänsehautgefühl! Die völlig unberührten, und selbst den meisten Seglern total unbekannten Inseln Selvagen und Desertas: Ein Erlebnis, das ich bis ans Ende meines Lebens wohl nicht vergessen werde.
Manchmal haben wir das Badehosen-Wetter und die tropischen Wassertemperaturen, ja die Exotik, die uns die Karibik geboten hätte, etwas vermisst. Bereut haben wir den Entscheid aber nie, viel zu schön sind all die Erlebnisse, die wir stattdessen machen durften! Und nun schlagen wir ein neues Buch dieser Reise auf. Wir verlassen nach einem halben Jahr die Inseln im Atlantik und fahren in den Norden. Keiner von uns war zuvor in Irland. Die Zeit ist gekommen, etwas Neues kennen zu lernen. Wir freuen uns darauf!
Für alle die, welche unsere Reise nach Norden mitverfolgen möchten, aktualisieren wir regelmässig unsere Position (https://mauna-loa.ch/page/reiseroute). Jetzt gilt es Daumendrücken für guten Wind!