Seenotfall in Norddeutschland

Geposted am 4 November, 2017 von Chris

Das Schiff brennt. Unsere Löschversuche haben nichts gebracht, wir müssen von Bord. Ich setze einen Notruf über Funk ab. Mätthu schiesst rote Fallschirmraketen. Und dann evakuieren wir die gesamte Mannschaft. Rettungswesten gehen auf, die Kleidung wird im Wasser tonnenschwer. Der Wind heult ohrenbetäubend, Regen peitscht uns ins Gesicht, während wir die kopfüber liegende Rettungsinsel drehen müssen. Ein weiterer Kraftakt, dann sind wir alle in der Insel.  Blitze zucken über den Himmel, während wir im Dunkeln von fast 3m hohen Wellen kräftig durchgeschüttelt werden. Dann endlich naht Hilfe:  Wir werden vom Helikopter an der Winde abgeborgen.
Nass und vor Kälte zitternd stehen wir danach am Beckenrand und sind froh, dass unser Seenotfall nur gestellt ist. Wir befinden uns in einer gigantischen Trainingsanlage für Seerettung in Norddeutschland und üben den Ernstfall.

In Elsfleth in der Nähe von Bremen befindet sich eines der modernsten Trainingszentren für maritime Sicherheit in Westeuropa. Während unter der Woche Offshore-Arbeiter den Unterwasser-Ausstieg aus einem abgestürzten Helikopter oder das Abbergen von einer winzigen Gondel einer Windkraft-Anlage üben, steht das Trainingszentrum an gewissen Wochenenden den Seglern zur Verfügung. Im Sicherheitslehrgang von Tobias Schultze und seinem Team von Fire&Safety lässt sich alles üben, was einem auf hoher See passieren kann.

So reisen wir an diesem letzten Oktober-Wochenende zu fünft nach Norddeutschland. Mit im Gepäck nicht etwa Badehose und Bikini, sondern komplettes Ölzeug, dicke Pullis und Stiefel – die Ausrüstung, die wir bei Schwerwetter auf dem Schiff tragen.

Am Samstagmorgen geht’s zunächst noch ganz beschaulich zu: Wir unterhalten uns gemeinsam mit 15 anderen, aus ganz Deutschland angereisten Seglern über verschiedene Sicherheitsausrüstung und deren Handhabung. Danach geht’s für einen ersten praktischen Teil raus in die Kälte. Beim Abbrennen von Rauchtöpfen und Seenotfackeln am Ufer der Weser wird uns aber schnell wieder warm.

Nachmittags steht zunächst erste Hilfe auf dem Programm, bevor’s ins Wasser geht: Schon bald treiben elf mit Stiefeln und Ölzeug ausgerüstete Schiffbrüchige im Trainingsbecken. Zunächst bei ruhigem Wasser, später auch bei Wellen bis 2.5 m Höhe, 6 Grad kaltem Regen aus der Sprinkleranlage und ohrenbetäubend heulendem Wind aus den Windgeneratoren. Sich nicht verlieren, lautet die Devise. Und die Nerven behalten. Tobias, Geko und die restlichen Instruktoren geben sich alle Mühe, uns eine unvergessliche Trainingseinheit zu bieten. Als einer nach dem anderen die auf dem Kopf stehende Rettungsinsel umgedreht hat (wie ich merke im Sturm gar keine einfache Angelegenheit) steigen wir alle ein. Danach werden wir eine ganze Weile bei üblem Seegang und engen Bedingungen in der Insel durchgeschüttelt. Zum Glück wird keiner seekrank. Aber sonst gäbe es ja noch die Spucköffnung, wie uns Tobias vor dem Training mit einem Augenzwinkern erklärt hat…

Etliche bange Minuten später erscheint schliesslich der Schein eines Suchscheinwerfers auf dem Inseldach. Nun geht es darum, einen nach dem anderen in die Bergeschlaufe des Helikopters zu buxieren. Mit etwas klammen Fingern keine einfache Aufgabe. Die Gischt fliegt mir entgegen als ich schliesslich mit dem Hallenkran aus der Insel gewinscht werde: Für den realistischen Abwind des "Helikopters" sorgt ein Windgenerator an der Decke.

Triefend nass, und trotz angenehmen Wassertemperaturen von 22 Grad vor Kälte leicht zitternd, stehen wir 2 ½ Stunden nach unserem Schiffbruch am Beckenrand. Doch, das war ein wahrhaftig realistisches Szenario…

Am Sonntagmorgen geht’s zunächst um Brandbekämpfung, wobei wir nicht nur einen brennenden Kartentisch sondern auch einen in Brand geratenen Kollegen löschen müssen. Dann folgt die Leckbekämpfung. Zu dritt sitzen wir in einem alten Segelschiff, in welches durch diverse Lecks Wasser sprudelt. So schnell wie möglich abdichten, heisst die Aufgabe. Die Möglichkeiten sind vielfältig: Von Moosgummi über Rettungswesten, Segelsäcke oder sogar Kartoffeln kann man alles Mögliche zum Abdichten nutzen.

Nachmittags geht’s darum, eine über Bord gefallene Person wieder an Bord zu holen – dafür steige ich erneut ins Becken. Erst sitzend, danach auch liegend versuchen mich die Kollegen wieder aufs Schiff zu kriegen – glücklicherweise erfolgreich.

Total müde aber mit vielen wertvollen Eindrücken treten wir nach diesem intensiven Wochenende die Heimreise an. Zwar hoffen wir alle, den Ernstfall nie erleben zu müssen. Aber wenn doch, sind wir nun zumindest besser gerüstet als zuvor!

www.fire-safety-training.de