Nervös sitze ich im Motorenraum. Alles ist bereit, aber der Ölfilter für den Generator wurde immer noch nicht geliefert. "Ich ruf dich an sobald er hier ist", hat der Verkäufer gesagt und einen seiner Jungs losgeschickt um den Filter zu holen. Nun ist er jedoch schon seit Stunden überfällig. Wir wollen am nächsten Morgen früh auslaufen um nach Norden, genauer zu den Ilhas Selvagens zu segeln. Dafür müssen natürlich alle Systeme einsatzklar sein und ohne Ölfilter im Generator können wir nicht los.
Seit einigen Tagen liegen wir in der Marina von Las Palmas de Gran Canaria und bringen unser Schiff auf Hochglanz: Frühlingsputz, Wartung aller Maschinen, Grosseinkauf, Wasser bunkern, Wäsche waschen,Wetterbriefing, Routenplanung. Wir freuen uns auf unseren nächsten Stop: Die Selvagen Inseln.
Die Selvagen Inseln sind ein aus zwei Inseln und vielen Felsen bestehendes Archipel etwa 150 nm nördlich von Gran Canaria und 200 nm südlich von Madeira. Sie gehören zu Portugal und werden von Madeira aus verwaltet. Da es kaum natürliche Süsswasservorkommen gibt wurden sie nie besiedelt (auch wenn es mehrmals versucht wurde). Auf den Inseln brüten tausende von Sepiasturmtauchern und andere Vögel. Ausserdem gibt es mehrere endemische Pflanzen- und Tierarten. Also ein richtiges Paradies für Naturliebhaber! Seit den 70er Jahren stehen sie unter Naturschutz, weshalb man sie auch nicht einfach so besuchen darf. Wir haben bei der Parkverwaltung angefragt und eine Besuchsgenehmigung erhalten. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir morgen wirklich loskommen, sonst verfällt die Bewilligung.
Erst kurz vor Ladenschluss werde ich informiert, der Filter sei angekommen. Schnell einbauen und alles testen: Es funktioniert! Wir sind bereit!
Früh morgens, es ist noch Dunkel, segeln wir los. Wir zirkeln uns zwischen all den Frachtern und Ölbohrschiffen hindurch und gehen hart an den Wind. Wir müssen gegen den Passatwind aufkreuzen. Etwas mehr als 24 Stunden kreuzen wir entspannt bei wenig Wind und Welle nordwärts. Kurz vor Sonnenaufgang sehen wir den Leuchtturm von Selvagem Pequena am Horizont auftauchen. Das Ziel naht! Gegen 10 Uhr erreichen wir Selvagem Grande fast zeitgleich mit einer anderen Jacht. Vor dem Haus der Parkranger sind Bojen ausgebracht an welchen wir festmachen dürfen.
Am Nachmittag nehmen zwei Marinepolizisten uns und die Crew der anderen Segeljacht, der Oceanica, auf einen Inselrundgang mit. Normalerweise machen das die Ranger, diese sind aber gerade mit Bauarbeiten beschäftigt. "Auf der Insel wohnen neben 75‘000 Brutpaaren von Sepiasturmtauchern auch tausende Eidechsen und Geckos", erklärt uns einer der Polizisten, während wir über die ziemlich kahle Insel wandern. Geckos? Eidechsen sehen wir überall, aber die endemische Gecko-Art muss man aktiv suchen. Das ist nicht gerade schwer wie wir gleich erfahren. "Unter fast jedem Stein sitzt einer", meint einer der Beamten. Er hebt einen flachen Stein hoch und siehe da: Es klebt ein Gecko auf der Unterseite. Sie haben keinerlei Scheu. Wir versuchen es selber und stellen fest, dass sich wirklich unter fast jedem Stein ein Tier versteckt. Jedes Individuum hat eine einmalige Iris, genau wie wir Menschen. Der Inselrundgang mit den Polizisten bringt noch die eine oder andere spannende Information zu Tage. Und am Schluss wünschen sich die Beamten ein Souvenir-Foto mit uns.
Christina hegt schon lange eine spezielle Liebe zu den Sepiasturmtauchern. Seit der Insel El Hierro sehen wir die eleganten Flieger regelmässig auf dem Meer. Die Selvagen Inseln sind eines ihrer wichtigsten Brutgebiete. Jedes Jahr kommen Biologen auf das Archipel um die Tiere zu studieren. Tausende von Löchern im Boden und kleine Höhlen in den Steinen werden zu Nestern umgebaut. Obwohl noch nicht Hauptbrutzeit ist, finden wir viele Tiere in ihren Nestern. Eine schöne Möglichkeit die Vögel mal so nahe zu sehen. Jeden Abenden nach dem Eindunkeln veranstalten die Vögel ein reges Konzert. Wir haben euch eine Stimmprobe aufgenommen.
Bei der Rangerstation finden wir noch eine andere Vogelart: Tauben. Sicher 20 Tiere drängen sich auf engem Raum in einer Voliere. Der Ranger erklärt uns, das seien Brief- und Stadttauben, welche sich verirrt hätten und nun hier erschöpft eingesammelt wurden. Sie würden aufgepäppelt und mit dem nächsten Versorgungsschiff zurück zu den Besitzern auf das Festland gebracht (falls bekannt).
Am nächsten Morgen machen wir uns bereit für einen Tauchgang. Dieser übertrifft alle meine Erwartungen. Täler und erstarrte Lavaströme wechseln sich unter Wasser ab. Kleine Höhlen voller Fische, Schnecken und anderen Meeresbewohnern ziehen mich in ihren Bann. Ganze Schwärme neugieriger Fische umkreisen uns. Obwohl wir uns nicht weit von den Kanaren entfernt haben, gibt es so viele Arten welche wir noch nicht kennen. Ich bin begeistert!
Am Abend heisst es Abschied nehmen. Unsere Besuchsbewilligung war nur für zwei Tage gültig und so verabschieden wir uns per Funk bei den Rangern und brechen kurz vor Sonnenuntergang auf nach Madeira. Erneut müssen wir kreuzen. Die Wellen und der Wind haben zugelegt. Gut geschüttelt erreichen wir 28 Stunden später in stockfinsterer Nacht Madeira und ankern in der Bucht von Machico. Dieses kleine Dorf war vermutlich der Ort, an dem die Besiedler im Jahr 1419 das erste Mal Land betraten. Wir tun es ihnen gleich. Heute liegt das Dorf direkt am Ende der Flugpiste und ist somit immer noch der Ort, an welchem die meisten Neuankömmlinge eintreffen.
Mit dem Mietauto fahren wir über die Insel. Nach den trockenen Kanaren sind wir fasziniert vom Grün. Seit langem hören wir wieder mal die Blätter von Bäumen rauschen und die Vögel zwitschern. Richtige Glücksgefühle machen sich dadurch breit. Madeira (die Holzinsel) ist sehr abwechslungsreich. Hohe Klippen überragen das blaue Meer. Bananenplantagen und Felder wohin das Auge reicht. Leider ist damit auch jegliche Unberührtheit verschwunden. Wo immer es nicht gerade senkrecht ansteigt gibt es Häuser, Felder und Strassen. Die ganze Insel erscheint überbaut und mit Tunnels durchlöchert. Trotzdem geniessen wir unsere Zeit dort.
Nach unserem Besuch auf den Selvagen Inseln möchten wir auch noch das zweite grosse Naturschutzgebiet Madeiras besuchen: Die Ilhas Desertas. Diese Inselgruppe besteht aus zwei grossen und einer kleinen Insel (plus vielen Steinen) und liegt nur gerade 30 nm vor Madeira. Bei gutem Wetter sind sie von hier aus gut erkennbar. Die kargen Klippen ragen fast senkrecht bis zu 400 m über den Meeresspiegel. Uns zieht es wieder raus aus der Zivilisation in die Einfachheit.
Wir nähern uns der Hauptinsel und funken die Ranger an. Auch hier mussten wir vorgängig eine Bewilligung für den Besuch einholen. Es dauert eine Weile bis wir eine Antwort erhalten, wir dürfen dann aber in die Ankerbucht einfahren und an einer der Bojen festmachen. An Land kann man leider nicht allzu weit laufen. Der Weg, welcher früher auf die Klippen führte, wurde durch einen Erdrutsch zerstört. Nun kann man nur noch einen kurzen Rundgang um die Rangerstation machen. Doch schon hier zeigt sich die Natur von ihrer schönsten Seite.
Einer der Ranger nimmt sich etwas Zeit für uns und erklärt uns mit welchen Problemen sie zu kämpfen haben. "Vor langer Zeit haben Siedler hier mal versucht Ziegen zu züchten. Die Nachkommen dieser Ziegen leben immer noch auf dem Hochplateau. Sie fressen die ganze karge Vegetation und stören das Ökosystem. Wir bekämpfen sie mit allen Mitteln, haben jedoch nur wenig Erfolg. Wir haben versucht sie aus dem Helikopter zu jagen. Nach kurzer Zeit haben sie gelernt sich zu verstecken und waren nur noch in der Nacht aktiv. Im Herbst wenn das Futter nicht mehr für alle reicht, beginnen sie sogar die giftigen endemischen Pflanzen zu fressen. Versuche mit Gift haben auch nicht gefruchtet, dafür den Zorn militanter Tierschützer auf uns gezogen." Am Abend nehmen wir uns die Zeit mit dem Feldstecher die Felsen abzusuchen und sehen wirklich eine ganze Herde Ziegen. Erstaunlich wie sie sich in diesem unwegsamen Gelände aufhalten können. Kein Wunder, dass sie in diesem empfindlichen Gebiet viel Schaden anrichten können.
Der Süden der Hauptinsel Deserta Grande sowie die Südinsel Bugio stehen unter besonders hohem Schutz. Boote dürfen sich ihnen nicht annähern. Rund um die Inselgruppe lebt eine der letzten Kolonien von Mittelmeer-Mönchsrobben. Während diese Tiere früher überall auf Madeira, Porto Santo, an der Küste Marokkos und sogar im Mittelmeer beheimatet waren, wird ihr Bestand weltweit nun nur noch auf knapp 400 geschätzt. Damit sind sie die am stärksten vom Aussterben bedrohte Robbenart der Welt. Auf den Desertas leben etwa 30-40 Tiere. Obwohl viele Touristen in der Hoffnung eine Mittelmeer-Mönchsrobbe zu sehen auf die Desertas kommen, nimmt uns der Parkwächter jegliche Hoffnung: "Nur ganz selten kommen sie bis zu uns hoch.“
Am Abend kommt ein kleines Fischerboot und legt sich an die Boje neben uns. Als es die Bucht ansteuert, fährt es so nahe an uns vorbei, dass wir schon fast eine Kollision fürchten. Der Kapitän ruft und zeigt, aber bei uns dauert es kurz bis wir verstehen was los ist: Er will uns eine der Mönchsrobben zeigen! Und wirklich, nur wenige Meter neben unserem Boot taucht ein Lobo Marinho auf. Schnaubend atmet er ein paar Mal ein und aus, taucht dann für ein bis zwei Minuten ab um auf der anderen Seite des Bootes wieder aufzutauchen. Wir schauen begeistert zu und können unser Glück kaum fassen (während in der Küche das Abendessen anbrennt)!
Als letzte Insel des Madeira Archipels wäre da noch Porto Santo. Die kleine Nebeninsel ist vor allem für ihren langen Sandstrand bekannt und dient vielen Madeirensern als Wochenendziel. Gerne hätten wir diese Insel auch noch besucht, jedoch sind Wind und Welle derart stark, dass wir uns dagegen entscheiden. Wir legen uns noch ein paar Nächte vor Funchal (der Hauptstadt Madeiras) vor Anker, erledigen einige Unterhaltsarbeiten und geniessen das Stadtleben während wir uns für die Überfahrt in die Azoren vorbereiten. Auf uns warten ca. 500 nm und 4-5 Tage auf dem offenen Atlantik.