Irland empfängt uns Mitte Juli kalt und grau. Regen ist an der Tagesordnung. Nachdem wir uns in Dingle einige Tage lang von den Strapazen der Überfahrt erholt und die völlig neue Kultur auf uns haben wirken lassen segeln wir einige Tage später nach Süden. Wir wollen nach Baltimore, ein verschlafenes Dorf nahe Cork und Namensgeber für etwa zehn weitere Baltimores auf der Welt, unter anderem die bekannte Stadt in den USA. Auf dem Weg dorthin zeigt sich Irland von seiner besten Seite. Steile Klippen, überwachsen mit saftigem Grün. Felsbrocken die steil aus dem Wasser ragen und seit Jahrhunderten den Wellen trotzen. Von den meisten haben wir noch nie gehört, einer jedoch ist uns ein Begriff: Der Fastnet-Rock. Dieser Fels und der darauf gebaute Leuchtturm sind wegen der gleichnamigen Regatta in Seglerkreisen bestens bekannt. Diese wird alle paar Jahre ausgetragen und führt von England über die Irische See, entlang Südirlands bis zum Fastnet-Rock und wieder zurück. 1979 erlangte die Regatta traurige Berühmtheit als das Regattafeld in einen sehr spät vorhergesagten Orkan geriet. 15 Regattateilnehmer und vier weitere Segler ertranken. Mindestens 75 Yachten kenterten durch. Diese Tragödie wirkt heute noch nach: Sie führte zu umfassenden Verbesserungen in Bau und Ausrüstung von Segelschiffen, von der wir auch 40 Jahre später noch profitieren. Heute gibt es keinen Grund zur Sorge: Wir umrunden den Fels unter vorgespanntem Spinnaker glücklicherweise bei besten Bedingungen. Auf der kleinen Insel Cape Clear vor Baltimore besuchen wir einige Tage später ein unterhaltsames Museum zum Bau des Fastnet-Leuchtturms und zur Geschichte der Seefahrt in dieser Region.
Eine knappe Woche später machen wir in Kinsale fest. Anlegen in einer Marina im Fluss ist uns neu - zusätzlich zum Wind will nun auch der Wasserstrom bei den Anlegemanövern bedacht sein. Unser Plan ist, bald nach Cork weiter zu fahren. Der Hafenmeister rät uns jedoch zu bleiben und auf besseres Wetter zu warten, zu hoch seien die Wellen, die eines der vielen Tiefdruckgebiete vor sich herschiebt. Vermutlich hat er Recht. Wir beschliessen das Boot im Hafen zu lassen und per Mietauto auf Entdeckungstour zu gehen. Wo man auch hinkommt: Schlösser und Burgen erwarten einen. Wir alle geniessen die Freundlichkeit der Iren und die problemlose Verständigung. Nebst den Iren treffen wir auch auf tausende Amerikaner. Die meisten von ihnen sind auf der Suche nach ihren Vorfahren. «Habt ihr denn noch nie einen Gentest gemacht um herauszufinden wer eure Vorfahren waren?», werden wir erstaunt gefragt. Nein, wir wussten nicht einmal, dass es sowas gibt. In vielen irischen Dörfern findet man Archive, die Auskunft darüber geben, wer Irland während der grossen Hungersnot zwischen 1845 und 1849 verlassen hat und mit welchem Zielhafen. Heute, 170 Jahre später, kommen ganze Busladungen voll mit deren Nachfahren aus den USA und Kanada um ihr «Heimatland» kennen zu lernen.
Als sich das raue Wetter etwas gelegt hat segeln wir weiter der Küste Irlands entlang. Erst durch das Fernglas erkennt man, dass der Fels auf den wir zusteuern nicht weiss ist, sondern die dicht darauf gepackten Vögel dessen Farbe bestimmen. Darf ich vorstellen: Die Basstölpel! Tausende! Diese Vogelart wird uns bis zum Ende der Reise begleiten. Als unsere Mauna Loa in Kilmore Quay festgemacht ist nehmen Christina und ich die Fähre auf die beiden vorgelagerten Saltee-Inseln. Diese stehen unter Naturschutz und sind fast unbewohnt. Am südlichen Ende der Insel hat sich eine grosse Basstölpel-Kolonie eingerichtet. Wir können uns der Kolonie gut nähern und beobachten fasziniert das Treiben. Jedes Küken wird von einem erwachsenen Tier bewacht. Wenn der Partner mit Futter vorbei kommt wird er herzlich begrüsst (ausser vom Platznachbarn: der hat beim Landeanflug einstecken müssen und tut seinen Ärger lauthals kund).
Pubs sind in Irland ein Teil der Kultur. Das lassen wir uns natürlich nicht entgehen. Wir besuchen regelmässig eines, wobei Matthias immer nach einem guten Bier Ausschau hält. In den Pubs läuft meist Sportfernsehen, oft Fussball oder Hurling, eine der irischen Nationalsportarten. Obwohl wir nicht gerade Fans von TV-Sport sind, schauen wir fasziniert dem schnellen Spiel zu. Es läuft gerade das Halbfinale der Landesmeisterschaft: Limerick gegen Kilkenny. Die anderen Pubbesucher erklären uns die Regeln. Hurling ist eine Art Fussball mit einem Schläger, der dem von Unihockey ähnlich sieht. Es scheint fast alles erlaubt. Die Spieler geben alles und machen es bis zur letzten Minute spannend. Am Schluss gewinnt Kilkenny mit 1.21 - 2.17 (das macht 23 zu 21 Punkte).
Unser letzter Stop in Irland ist Dun Laoghaire, ein Aussenquartier Dublins. Dort befand sich früher der Fährhafen, heute nur noch die riesige Sportbootmarina. Seit die Fähren direkt nach Dublin fahren scheint der Hafen etwas überdimensioniert. Für uns hat er allerdings einen grossen Vorteil: Mit der S-Bahn gelangt man schnell ins Zentrum der irischen Hauptstadt. Wir erforschen die Gassen Dublins, Kirchen, Brücken und Pubs. Abends besuchen Matthias und ich in Dun Laoghaire ein Pub um die Ecke. Dort treffen wir auf Ruth die Katzenliebhaberin, Eris den entillusionierten Brasilianer und Šárka die polnische Studentin. Wir verabreden uns für den nächsten Abend und verbringen gleich zwei lustige Abende mit der ungleichen Truppe.
Wenige Tage später verlassen wir noch vor Sonnenaufgang Dun Laoghaire. Es geht auf nach Douglas, der Hauptstadt der Isle of Man. Am Tage zuvor ist Christinas Freundin Martina zu uns gestossen. Die beiden segeln jeweils auch in der Schweiz gemeinsam, nur sind die Boote dabei jeweils etwas kleiner. Guter Wind bringt uns schnell zum Ziel und wir laufen den Steg im Aussenhafen an. Der Innenhafen ist versandet und daher nicht tief genug für uns. Kurz nach unserer Ankunft läuft die «Fairytale» ein. Irgendwie kommt mir dieser Name bekannt vor. Erst als sie näher kommt erkennen wir Martin und Lena (zu deren Blog Blauwassermaerchen). Ich kenne sie aus meiner früheren Skippertätigkeit.
Das Wetter ist wieder mal «nordisch», kurz Regen, kurz Sonne und nicht all zu warm, wenn jedoch die Sonne scheint erstrahlt die Landschaft in magischem Licht. Wir mieten ein Auto für zwei Tage und erkunden die Insel. Obwohl die Isle of Man winzig ist, gibt es viel zu sehen. Eines der Highlights sind ganz klar die hiesigen Schafe. Die lokale Rasse hat nicht wie die meisten anderen zwei Hörner, sondern vier oder sogar sechs. Um die speziellen Vierbeiner zu sehen müssen wir in den Süden fahren. Dort leben einige im Freilichtmuseum. Neben den Loaghtan Schafen findet man dort allerlei interessante Informationen zum kargen Leben früher auf der Isle of Man und ausserdem die lokale Katzenrasse. Die Manx Katze besitzt von Geburt an keinen Schwanz. Wir kommen erst gegen Abend im Museum an, kurz bevor es schliesst. Trotzdem erklären uns die "Bewohner" des Dorfes geduldig ihre Lebensweise. Nebst den Schafen soll es auch noch Wallabies auf der Insel haben. Diese kleinen, australischen Kängurus wurden eingeschleppt und leben seither frei auf der Insel. Gesehen haben wir leider keines.
Am Tage darauf fahren wir in den Norden der Insel. Dort steht das grösste Wasserrad der Welt. Es diente dazu die lokale Bergbaumine zu entwässern. Während an den meisten anderen Orten der Welt zum Zeitpunkt des Baus 1854 schon Dampfmaschinen eingesetzt wurden, war dies mangels Brennmaterial hier nicht möglich. Das Rad hat einen Durchmesser von 22 m und ist eines der Wahrzeichen der Insel.
Nach diesen zwei Tagen müssen wir die Insel leider verlassen, es kündigt sich ein heftiger Wetterwechsel an. Zuvor erlaubt uns ein kurzes Wetterfenster nach Holyhead in Wales weiterzufahren, wo wir vor dem prognostizierten Sturmtief deutlich besser geschützt sind. Am Abfahrtsmorgen liegen 5 Boote am Steg und alle wollen weiter. Einige nach Irland, andere wie wir nach Holyhead. Wir müssen warten bis alle Päckchenlieger weg sind und fahren als Letzte los. Die Wellen erscheinen uns grösser als angesagt und auch der Wind erscheint stärker. Am Abend laufen wir in der Holyhead Marina ein. Die Franzosen sind schon da. Kurz nach uns kommen auch die «Fairytale» und die «Overlord». Schliesslich liegen alle Boote, die mit uns heute Morgen noch in Douglas lagen, wieder zusammen an einem Steg. Es war anscheinend unmöglich nach Dublin zu kommen, zu stark waren Wind und Wellen.
In Holyhead müssen wir ein paar Tage abwettern. Wir besuchen die Schlösser der Region und geniessen das warme Sonnenwetter im Hinterland während es auf der Irischen See stürmt. Martina muss uns hier nach einer Woche leider schon wieder verlassen. Nicht nur Martina, auch Christina verlässt wenige Tage später das Boot. Sie hat beschlossen ihr Segelkönnen eine Stufe höher zu treiben und sich der britischen Yachtmaster Offshore Prüfung zu stellen. Dafür fährt sie für eine Woche nach Portsmouth. Somit müssen Matthias und ich die Strecke bis zum Land's End, dem südwestlichsten Zipfel Englands, alleine zurücklegen.
Entlang der Küste Cornwalls lässt es sich augezeichnet segeln. Meist ist man geschützt vor den grossen Altlantikwellen. Kurze Strecken und gut geschützte Ankerplätze machen den Aufenthalt gemütlich. Auch das Wetter sei "um Welten besser", versichern uns die Einheimischen. Wir geniessen also die Abende vor Anker, die Flussfahrten und das Schlendern in den kleinen Dörfern. Einfach schön. Nur schade ist Chris nicht dabei.
Sie hat es nicht ganz so gemütlich wie wir. Täglich beginnt der Tag mit einer Rauchwolke aus der Bratpfanne (echt britischer Frühstücks-Bacon) und einem bitteren Schwarztee. Danach wird bis um Mitternacht ohne GPS navigiert, gebüffelt, Manöver verfeinert, Ansteuerungen geübt, Mensch über Bord Manöver perfektioniert, Passagen geplant und gesegelt was das Zeug hält. Im britischen Ausbildungssystem wir einem auf dieser Stufe nichts geschenkt. Im Anschluss an fünf anstrengende Vorbereitungstage verlässt der Instruktor das Boot. An dessen Stelle zieht der Experte auf dem Schiff ein. Zu dritt stellen sich die angehenden Yachtmaster einer anstrengenden, aber sehr lehrreichen, zwei Tage dauernden Praxisprüfung. Überraschungen inklusive. So wird zum Beispiel einer der Teilnehmer instruiert, ohne Vorwarnung einen Herzinfarkt vorzutäuschen, woraufhin der Rest der Crew korrekt reagieren und das Schiff in Absprache mit der Küstenwache für eine Abbergung mittels Helikopter vorbereiten muss. Glücklicherweise leisten sich weder Chris noch die anderen beiden Kandidaten grössere Fehler und nach sieben anstrengenden, aber sehr lehrreichen Tagen halten sie glücklich ihre Yachtmaster-Titel in den Händen.
Nachdem Christina zurück auf dem Boot ist, kommen André und seine Freundin Laurie an Bord. Sie kommen mit uns nach Frankreich. Zuvor wollen wir aber noch die Isles of Scilly besuchen. Fast wäre der Ausflug dorthin unmöglich geworden. Die Wetterprognose sagt Sturm und viel Welle voraus. Nicht gerade optimal für diese flachen und ungeschützten Inseln. Je näher der Abfahrtstag kommt, desto besser werden jedoch die Prognosen und wir beschliessen es zu versuchen. Die Isles of Scilly sind eine Inselgruppe vor Cornwall. Für Seefahrer ist das steinige Gewässer eine Herausforderung. Nachdem Christina im Kurs eine Woche lang das Navigieren nach Landmarken geübt hat, ist sie hier voll in ihrem Element: Wir kreuzen quer durch die Inselwelt, immer auf der Papierkarte und im Guidebuch nach dem nächsten "Transit" Ausschau haltend. Durch ihr warmes Klima ist die Inselgruppe bekannt für eine artenreiche Pflanzenwelt. Während Mauna Loa vor Anker auf uns wartet, schlendern wir über die Inseln. Grosse Wälder mit allerlei Bäumen und Pflanzen die wir noch nie gesehen haben warten darauf entdeckt zu werden. An mehreren Stellen gibt es Kisten und Tische, auf denen Gemüse, Salat und Handwerk angeboten werden. Wir decken uns mit allerlei Feinem ein.
Leider steht bald darauf, mittlerweile ist es Anfang September geworden, schon die Überfahrt nach Frankreich an. Entgegen der Vorhersage ist der Wind recht gut und wir können die ganze Strecke über den Ärmelkanal segeln. Bei strömendem Regen und miserabler Sicht laufen wir tags darauf in Brest ein. Kurz einkaufen und die Maschinen warten, dann geht's los: Wir segeln über die berüchtigte Biskaya nach Süden! Das launische Wetter in der Biskaya und der Drang nach Wärme diktieren unser Zeitplan.
Viele weitere Bilder aus dieser Zeit findet ihr in der Gallerie: Mauna Loa und der Sommer bei den Kelten